Wir erinnern an August Zgorzelski und Heinrich Kamps
August Zgorzelski; geboren am 31. Mai 1904 in Duisburg, gestorben 8. Januar 1944 im KZ Buchenwald
Heinrich Kamps; geboren am 3. März 1902 in Viersen, gestorben am 27. April 1943 im KZ Buchenwald
August Zgorzelski; geboren am 31. Mai 1904 in Duisburg, gestorben 8. Januar 1944 im KZ Buchenwald
Heinrich Kamps; geboren am 3. März 1902 in Viersen, gestorben am 27. April 1943 im KZ Buchenwald
August Albert Zgorzelski, geboren 31. Mai 1904 in Duisburg, Arbeiter, Schmelzer bei Krupp in Rheinhausen, erste Verurteilung in Duisburg (23.5.1938) wg. eines homosexuellen Kontaktes zu einem Jahr und 3 Monaten Gefängnis; außerdem während der Haftzeit Verurteilung (12.5.1939) durch das sog. „Erbgesundheitsgericht Bochum“ zur Unfruchtbarmachung wegen „angeborenen Schwachsinns“. Erneute Verurteilung vom Landgericht Duisburg am 15.8.1941 wegen mehrerer homosexueller Kontakte zu 2 Jahren und 6 Monaten Gefängnishaft unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Im selben Verfahren Verurteilung des Heinrich Kamps.
Haftverbüßung von Zgorzelski im Gefängnis Anrath. Nach voller Verbüßung der Haft nahm die Duisburger Polizei ihn am 18.8.1943 in „Vorbeugehaft“ und deportierte ihn am 7.10.1943 in das KZ Buchenwald. Dort als Rosa-Winkel Häftling (Nr. 13204) ermordet am 8. Januar 1944, angebliche Todesursache: Magen- und Darmkatarrh
August Zgorzelski lebte in Duisburg, Heinrich Kamps lebte in Viersen/Dülken am Niederrhein. In der NS-Zeit wurden beide als Homosexuelle verfolgt und gemeinsam verurteilt. Beide überlebten die weitere Verfolgung nicht. Beide starben im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Der nachfolgende Bericht zeichnet Ihre Lebens- und Verfolgungswege nach und stellt die Verbindung zwischen beiden dar.
Nachtrag vom September 2020: Der unten zu lesende Bericht zu August Zgorzelski und Heinrich Kamps stammt aus dem Jahr 2018. In diesem Bericht finden Sie den Mitangeklagten aus dem ersten Gerichtverfahren gegen August Zgorzelski genannt mit der Abkürzung seines Nachnamens: „Wilhelm K.“ Mittlerweile ist die Forschung weiter vorangeschritten und der weitere Lebens- und Verfolgungsweg konnte erforscht werden: Hinter der Abkürzung Wilhelm K. verbarg sich der Name Wilhelm Kühlen. Im Dezember 2022 wurde in Duisburg auch einen Stolperstein zur Würdigung von Wilhelm Kühlen verlegt. (siehe rosa Button)
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Am Donnerstag, den 9. Februar 1905 erschienen auf dem Standesamt Duisburg der Weberei-Maschinist Hermann Vincenz Zgorzelski (geb. in Beuthen, Oberschlesien 1874; bis Duisburg 4. Dez. 1946) und die Witwe Magdalena Frensch, geborene Schmidt (geb. in Bockenau, Kreis Kreuznach 1873; bis Duisburg 5.8.1936). Beide lebten in Duisburg.
Sie schlossen an diesem Tag die weltliche Ehe vor dem Standesbeamten. Nach der Unterschrift auf der Heiratsurkunde leistete Hermann Zgorzelski noch eine weitere Unterschrift – und zwar auf der Duisburger Geburtsurkunde des August Albert. Der Standesbeamte vermerkte dort handschriftlich, dass Hermann Z. das bereits am 31.5.1904 geborene Kind der Witwe Magdalena Frensch als von ihm gezeugt anerkenne.
Damit hieß das einzige gemeinsame Kind der Eheleute dann August Albert Zgorzelski. Die Ehefrau von Hermann Z., Magdalena hatte in ihrer ersten Ehe (Eheschließung Duisburg 1885) mit dem Tagelöhner Johann Frensch (geb. Grenderich/Kreis Zell an der Mosel 1863, gestorben in Duisburg 1901 im Alter von nur 38 Jahren) bereits drei Töchter geboren: Anna Maria (1887) und eine namenlose Tochter sowie als Dritte die Tochter Hedwig (Duisburg 1899 – Essen 1983). Die beiden zuerst geborenen Töchter starben im ersten Lebensjahr.
Damit bestand der Haushalt der Familie Zgorzelski bei der Heirat bereits aus insgesamt 4 Personen: Vater Hermann, Mutter Magdalena, Sohn August und dessen Halbschwester Hedwig.
Hedwig heiratete 1932 in Essen, auch ihre zweite Ehe im Jahr 1949, (nunmehr Hedwig Knipp) wurde in Essen geschlossen. Hedwig hatte lt. Auskunft des Stadtarchivs Essen keine Kinder.
Die überlieferten Akten beschrieben den erwachsenen August Zgorzelski wie folgt: Größe 1,53 Meter, schmächtig, Gesicht oval, Augen dunkelbraun, Nase wellig, Mund und Ohren gewöhnlich, Zähne lückenhaft, Haare dunkelblond, Sprache deutsch: Im Jahr 1938 wog er 56,5 kg.
Dokumentiert ist ebenfalls, dass er von 1911 bis 1919 zur Schule ging, 2x „sitzen blieb“. Zunächst ging er in eine Volksschule in Duisburg, dann von Ostern 1915 bis 1918 in die katholische Hilfsschule in der Brückenstraße in Duisburg. Anschließend war er einige Wochen Hilfsarbeiter, dann wurde er bis zur Volljährigkeit (1919-1925) 6 Jahre lang in einer Fürsorgeerziehungsanstalt untergebracht im katholische St. Martinistift in Appelhülsen im Münsterland.
In zahlreichen Berichten über Erziehungsheime dieser Zeit werden diese u.a. auch als „Erziehungshölle“ bezeichnet. Es ist nicht anzunehmen, dass Zgorzelski positiver über seine Erfahrungen als Minderjähriger im Martinistift gesprochen hätte.
Dokumentiert sind weitere Lebensstationen: Er war als Schlepper tätig auf der Zeche Diergardt in Duisburg-Rheinhausen (1926/27). Außerdem steht fest, dass August Zgorzelski im Jahr 1928 drei Mal wegen Bettelns angeklagt, verurteilt und bestraft wurde: Im Februar 1928 zu einer Woche Haft, im März erneut wegen Diebstahls und Bettelns zu einer Woche Gefängnis und 4 Wochen Haft und nochmals im Nov. 1928 wegen Bettelns und Landstreicherei zu 3 Wochen Haft. Um der wirtschaftlichen Not zu entgehen und nicht erneut wegen Bettelns verfolgt zu werden, fand Zgorzelski eine Lösung: Er wurde Pferdeknecht bei einem Bauern in Pommern (1928-1931).
Es ist dokumentiert, dass er ab 1932 auf Wanderschaft ging: Zunächst nach Stettin für einige Monate, kehrte danach zu den Eltern zurück. Dann ging er nach Kleve, erneute Rückkehr zu den Eltern. 1936 ging es nach Kastellaun in den Hunsrück (als Erdarbeiter), von dort nach mehreren Monaten wieder zurück nach Duisburg. Im August 1936 starb die Mutter, nach deren Tod war er erneut auf Wanderschaft, zog aber bei seiner Rückkehr nicht zum Vater. 1937 wurde er erstmals – wie immer als Untermieter – in der Obermauerstr. 81 in Duisburg registriert. Von dort zog er weiter nach Großdornberg bei Bielefeld, kehrte im Juli 1937 kurzeitig zum Vater zurück. Ab Oktober 1937 war August Z. erneut auf Wanderschaft, nunmehr nach Jena, dann nach Weimar. Er kehrte Ende 1937 wieder zurück nach Duisburg, wohnte in der Obermauerstr. 92. Anfang 1938 war er in Homberg bei Ratingen.
Haft wegen gemeinsamer Onanie:
„Taten ohne Geschädigte“
Am 23. Mai 1938 wurde August Zgorzelski vom Duisburger Schöffengericht angeklagt wegen Vergehens gegen §175 gemeinsam mit dem Beschuldigten Wilhelm Kühlen (Jahrgang 1912), der ebenfalls in Duisburg lebte. August Zgorzelski war lt. Urteil zu diesem Zeitpunkt bei der Firma Krupp in Rheinhausen als Schmelzer tätig. Er hatte also eine Arbeitsstelle und wohnte in der Menage (im „Ledigenheim“) der Firma Krupp.
Das Folgende wurde den beiden Männern vorgeworfen: Der Angeklagte Wilhelm Kühlen arbeitete als Verkäufer von Toilettenartikeln beim Bahnhofsfriseur Schmitz im Duisburger Hauptbahnhof. Sie hätten gemeinsam am 29.4.1938 auf der Bahnhofstoilette in einer Toilettenkabine onaniert. Keiner der beiden scheint das geleugnet zu haben. Während der Angeklagte Z. angab, vom Anklagten K. mit einem eindeutigen Augenzwinkern aufgefordert worden zu sein, entschied sich das Gericht zu der im Urteil festgehaltenen Ansicht, dass der Angeklagte Z. den Angeklagten K. verführt habe. K. habe zudem angegeben, er sei verlobt. Während K. nicht vorbestraft war, wurden Zgorzelski seine 10 Jahre zurückliegenden Vorstrafen wegen Bettelns, Diebstahls und Landstreicherei vorgehalten und verschärften das Strafmaß. Außerdem gab er im Verhör bei der Polizei eine weitere „Tat“ aus dem Jahr 1937 mit einem namentlich unbekannten Mann zu.
2021: Die Forschung zum weiteren Lebensweg von Wilhelm Kühlen (geboren in Mönchengladbach) ist inzwischen abgeschlossen. Wilhelm (Willi) Kühlen wird auf dieser Homepage mit einem eigenen, umfangreichen und bebilderten Beitrag gewürdigt. Auch er überlebte die NS-Zeit nicht, er gilt bis heute als Wehrmachtsvermißter.
Die Richter schrieben in der Urteilsbegründung:
„Der Angeklagte Zgorzelski … ist offensichtlich arbeitsscheu und treibt sich herum. (…) Nur eine ganz exemplarische Strafe ist bei Zgorzelski imstande, ihn von ferneren Straftaten, insbesondere von Verstößen gegen §175 StrGB. abzuhalten. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, vor derartigem Verhalten nachdrücklichst geschützt zu werden.
Der Angeklagt Kühlen erhielt eine Gefängnisstrafe von 6 Wochen, der Angeklagte Zgorzelski wurde zu 1 Jahr und 3 Monaten Haft verurteilt. Damit war die Sache für Zgorzelski aber nicht ausgestanden. Die Haftstrafe – unter Anrechnung der U-Haft, weil er geständig war – wurde im Gefängnis Bochum, genannt „Krümmede“, vollzogen. Dort im Gefängnis verfasste der leitende Verwaltungsbeamte, Oberregierungsrat A., am 18. Okt. 1938 einen Antrag an das Erbgesundheitsgericht in Bochum:
„Auf Grund der §§1 bis 3 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 beantrage ich die Unfruchtbarmachung des Schmelzers August Zgorzelsk. (…) Der Genannte leidet an Schwachsinn. Zur Glaubhaftmachung der vorstehenden Angaben beziehe ich mich auf das anliegende Gutachten. Zgorzelski verbüßt (…) wegen Vergehens gegen 175 Str.G.B. eine Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten abzgl. Untersuchungshaft vom 31. Mai 1938 bis 6. August 1939.“
Auf dem gleichen Formular unterschrieb und befürwortete der Regierungsmedizinalrat Dr. K. diesen Antrag und fügte gleichzeitig ein von ihm erstelltes Gutachten über Zgorzelski bei, in dem er zu dem Ergebnis kam: „Ausgeprägter Schwachsinn“. Er stellte „hochgradige Intelligenzdefekte“ fest.
Das Bochumer Erbgesundheitsgericht forderte im folgenden Verfahren von verschiedenen Stellen Unterlagen an, so auch vom Gesundheitsamt in Duisburg:
Das Gesundheitsamt Duisburg erstellte eine Sippentafel auf Anforderung des Erbgesundheitsgerichtes in Bochum. Die Tafel ist nicht erhalten. Quelle: Landesarchiv Duisburg, Gerichte Rep 0276 90
Auch die katholische Grundschule in Duisburg in der Brückenstraße wurde angefragt wegen Unterlagen zu dem ehemaligen Schüler. Die Antwort lautete, dass kein Personalbogen in den Schulakten vorhanden sei (schließlich lag der Schulbesuch an der dortigen Schule bereits mehr als 20 Jahre zurück).
Außerdem wurde vom Amtsgericht ein aktueller Auszug aus dem Strafregister angefordert. Dieser enthielt neben den Strafen aus dem Jahr 1928 wegen Bettelns, Diebstahls und Landstreicherei nunmehr auch die Strafe wegen des Vergehens nach §175, die Z. zum diesem Zeitpunkt verbüßte.
Am 12. Mai 1939 fand die Sitzung des Erbgesundheitsgerichtes in Bochum statt unter Vorsitz des Amtsgerichtsrates Dr. P. und mit Beteiligung des Amtsarztes Dr. D. und des Beisitzers Dr. med. G. Das Protokoll vermerkte:
„In der Erbgesundheitssache August Zgorzelski erschien im heutigen Termin zur Verhandlung über den Antrag der Unfruchtbarmachung der Erbkrankenverdächtige. Der Vorsitzende erstattete zunächst Bericht über die Sache. Dem Erschienenen wurde sodann Gelegenheit gegeben, sich zur Sache zu äußern. Er erklärte sich mit der beantragten Unfruchtbarmachung einverstanden. Mit dem Erbkrankverdächtigen wurde eine Intelligenzprüfung vorgenommen. Sodann wurde nach geheimer Beratung beschlossen und verkündet: Der am 31.5.1904 geborene Arbeiter August Zgorzelski, wohnhaft in Rheinhausen, Ledigenheim, z.Zt. im Strafgefängnis in Bochum, ist wegen angeborenen Schwachsinns unfruchtbar zu machen. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Reichskasse.“
Gleich im ersten halben Jahr nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde ein menschenverachtendes Gesetz erlassen, dem 1939 auch August Zgorzelski zum Opfer fiel: Er wurde zwangssterilisiert.
Dass er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein homosexueller Mann war (und keine Neigung hatte, mit Frauen sexuellen Verkehr zu haben bzw. Nachwuchs zu zeugen), macht die Sache skurril bis makaber. Gleichzeitig wird in den Vorgängen aber auch zum Ausdruck gebracht, dass die Nationalsozialisten nach Erklärungen suchten für die Entstehung und damit auch Verhinderung von Homosexualität. Sie verfielen auf verschiedene Erklärungsmuster: Einerseits möglicherweise angeboren, andererseits möglicherweise ansteckend und durch „Verführung“ weiterzugeben, möglicherweise aber auch auf falsche, weil zu lasche Erziehung zurückzuführen, vielleicht aber auch eine Hormonstörung, usw.: In jedem Fall behandlungsbedürftig, strafrechtlich verfolgungsbedürftig, ausgrenzungsnotwendig, so die Einstellung der nationalsozialistischen Machthaber.
Zusammen mit einer Intelligenzminderung wurde im Falle von Zgorzelski ein aus heutiger Sicht merkwürdiger Begründungszusammenhang „erfunden“, um durch einen chirurgischen Zwangseingriff zu verhindern, dass Z. zeugungsfähig blieb.
Auch bleibt der Widerspruch bestehen, dass er einerseits als hochgradig intelligenzgemindert eingeschätzt wurde, andererseits aber zustimmungsfähig und einsichtsfähig in die Folgen des Beschlusses und zu den Folgen der beabsichtigten Operation sein sollte. Weiter fällt auf, dass ein rechtlicher Beistand vor Gericht fehlte.
Aus den Akten geht auch hervor, dass der Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes dem Oberbürgermeister der Stadt Bochum vorgelegt wurde, dessen ärztlicher Vertreter im städtischen Bochumer Gesundheitsamt gegen den Beschluss keine Bedenken hatte und auf eine Beschwerde verzichtete. Dass von keinem der beteiligten Akademiker (Richter, Staatsanwälte, Mediziner) aktenkundige Bedenken kamen, wieso man Zgorzelski einerseits im Strafverfahren wegen Verstoßes gegen §175 verurteilte und für „schuldfähig bzw. einsichtsfähig“ hielt, ihm aber andererseits „hochgradige Schwachsinnigkeit“ ärztlicherseits attestierte und damit den chirurgischen Zwangseingriff legitimierte, ist nur zeitgeschichtlich erklärbar: Alle Beteiligten waren bereits „auf NS-Linie gebracht“ bzw. hatten nicht die Courage, gegen die nationalsozialistische Haltung, dass es wertvolles und minderwertiges Leben gäbe, Stellung zu nehmen.
Oberbürgermeister war damals Otto Leopold Piclum (* 1. Februar 1899 in Bochum; † 1. Februar 1966 in Werdohl). Er war ein deutscher Jurist, Kommunalpolitiker und von 1933 bis 1943 Oberbürgermeister von Bochum. Als Chefredakteur der NSDAP-Parteizeitung Rote Erde wurde er von Hermann Göring am 24. März 1933 zum Staatskommissar für Bochum ernannt und am 15. Mai zum kommissarischen Oberbürgermeister bestimmt. Am 28. Juli wurde er von der „gleichgeschalteten“ Stadtverordnetenversammlung zum Oberbürgermeister der Stadt Bochum gewählt. Die Zerstörung der alten Bochumer Synagoge am 9. November 1938 soll Piclum lachend mit seinem Schwager und Kreisleiter der NSDAP, Ernst Riemenschneider, und dem Gaupropagandaleiter Brust beobachtet haben. Im Jahre 1943 wurde er nach zehn Amtsjahren in den Ruhestand versetzt. (Quelle: Wikipedia, Zugriff am 19.7.2018)
Das Gesundheitsamt Bochum verzichtete auf Beschwerde gegen die Entscheidung des Erbgesundheitsgerichtes Bochum. Damit war der Weg frei für die Unfruchtbarmachung von August Zgorzelski. Quelle: Landesarchiv Duisburg, Gerichte Rep 0276 90
Danach wurde Zgorzelski zur Unfruchtbarmachung vom Strafgefängnis Bochum in das Strafgefängnis Düsseldorf-Derendorf gebracht, wo im dortigen Gefängniskrankenhaus der Zwangseingriff in die körperliche Unversehrtheit vorgenommen wurde und der Vollzug des Urteils dokumentiert wurde. Der Regierungsmedizinalrat schrieb in seinem ärztlichen Bericht vom 26.7.1939.
„Der an angeborenem Schwachsinn leidende August Zgorzelski, geb. 31.5.1904 in Duisburg, aus Bochum, Krümmede 3, ist (…) am 20.7.1939 von mir unfruchtbar gemacht worden. (…) Der Eingriff verlief regelrecht, keine Komplikationen, primäre Heilung. Die Wunde heilte in 5 Tagen ohne Nebenerscheinungen. Der Operierte wurde am 26.7.1939 als geheilt entlassen.“
Um auch dem formalen, bürokratischen Akt zu genügen, teilte bereits am 20.7.1939 der Strafgefängnisdirektor der Haftanstalt Düsseldorf-Derendorf dem Bochumer Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung mit:
Die Unfruchtbarmachung wurde im Gefängniskrankenhaus Düsseldorf-Derendorf durchgeführt. Quelle: Landesarchiv Duisburg, Gerichte Rep 0276 90
Damit war das Urteil durchgesetzt. Zgorzelski wurde vom Gefängniskrankenhaus Düsseldorf-Derendorf zurücktransportiert in die Strafanstalt Bochum. Dort musste er die volle Gesamtstrafe verbüßen und wurde am 6.8.1939 entlassen.
Die gemeinsame Onanie mit einem anderen erwachsenen Mann führte zu einer gerichtlichen Verurteilung nach §175 und zu einer drastischen Strafe von einem Jahr und drei Monaten Gefängnis sowie in Folge zur Unfruchtbarmachung. Nach der Entlassung kurz vor Beginn des zweiten Weltkrieges im August 1939 hatte Zgrozelski seine Wohnung im Ledigenheim von Krupp und die Arbeitsstelle als Schmelzer bei Krupp und seine körperliche Unversehrtheit verloren. Er war aufgrund der Verurteilung wegen Bettelns und wegen „homosexueller Handlungen“ und wegen angeblichen „angeborenen Schwachsinnes“ vielfältig aktenkundig und dadurch dreifach gefährdet. Weitere rassistische Verfolgung drohte: Eingestuft als „asozial, homosexuell und schwachsinnig“ war die Gefahr hoch, von den nationalsozialistischen Rassisten in Politik und Verwaltung und Justiz als „lebensunwert“ eingestuft und behandelt zu werden.
Der weitere Lebensweg verlief dann auch wie befürchtet: Zgorzelski, mittellos und ohne Unterkunft, suchte erneut homosexuelle Kontakte und wurde bereits im Sommer 1939, also kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis, in einer Bedürfnisanstalt am Kuhtor in Duisburg mit dem Soldaten Wilhelm M. bei gemeinsamer Onanie „erwischt“. Er bekam von dem Soldaten dafür 2 Reichsmark. Und bereits im Januar 1940 und danach nochmals im Juli 1940 wurde er erneut wegen Bettelns vom Amtsgericht Duisburg zu zwei Wochen bzw. zu einem Monat Haft verurteilt.
Ein weiterer homosexueller Kontakt wurde ihm später zum endgültigen Verhängnis: Am 28. Juni 1940 nächtigte Zgorzelski gemeinsam mit Heinrich Kamps im Duisburger Hotel „Zur Sonne“. Dort kam es zum sexuellen Kontakt.
Während die Duisburger Justiz erneut ein Verfahren wegen Verstoßes gegen §175 aufgrund der genannten Fälle vorbereitete, wurde Zgorzelski am 8. Mai 1941 als Soldat eingezogen. Dass er als „Angeboren Schwachsinniger“ zunächst wehrdienstfähig und kriegstauglich war, stand offensichtlich nicht in Frage. Er wurde beim Militär in eine Baukompanie beordert, jedoch wegen Krankheit bereits im Juli 1941 wieder entlassen. Am 15. August 1941 kam es dann zum zweiten Strafverfahren wegen homosexueller Kontakte:
Verurteilung des Landgerichtes Duisburg August 1941 von Zgorzelsk und Kamps
Die Nationalsozialisten haben ihr rassistisches und menschenverachtendes Weltbild in sogenannte „Gesetze“ gegossen: U.a. verschärfen sie mit Wirkung vom 1. Sept. 1935 den noch aus der Kaiserzeit stammenden § 175, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellt. Sie erweitern und verschärfen Tatbestände und führen mittels §175a neue ein (so können bereits Küssen oder wollüstige Blicke und Kontaktaufnahme zu Ermittlungen und Bestrafung führen, ebenso wird erstmals mann-männliche Prostitution straf-rechtlich verfolgt). Sie vergrößern den Strafrahmen von Gefängnis (Vergehen §175) auf Zuchthaus (Neu: Verbrechen §175a) bis zu 10 Jahren. Sie bespitzeln durch Gestapo und Polizei Treffpunkte von Homosexuellen, führen Razzien durch, legen Listen von namentlich bekannten Homosexuellen an, üben Zensur aus und verbieten Zeitschriften und zerschlagen Vereine. Zudem erzeugt auch die öffentliche Hetze in der gleichgeschalteten Presse und den NS-Propaganda-Medien („Röhm-Putsch“) gegen homosexuelle Männer ein gesellschaftliches Klima der Angst und Einschüchterung. Die Nationalsozialisten nutzen und vertiefen die in der Bevölkerung vorhandenen Vorurteile gegenüber Homosexuellen und stempeln sie zu sogenannten „Volksfeinden“ ab. Denunzierungen sind Teil dieses Szenarios. Denunzianten fühlen sich sicher. Ebenso werden §§175/§175a als Werkzeug zur Verfolgung von katholischen Geistlichen eingesetzt. Die zum Teil „unbequeme“ katholische Kirche soll so in Misskredit gebracht werden. Zur systematischen Verfolgung wird bereits 1934 ein Sonderdezernat Homosexualität bei der Gestapo geschaffen, verschärfend wird im Jahr 1936 zielgerichtet die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ installiert. Die Zucht von „arischen“ Menschen ist das Ziel. Personen, die nicht zur konsequenten Bevölkerungsvermehrung beitragen, sollen „ausgemerzt“ werden.
Diese zweite Verurteilung und ihre Begründung im Gerichtsurteil aus Duisburg wegen homosexueller Kontakte zeigt nicht nur die ganze menschenverachtende Denk- und Sprechweise und Einstellungen der handelnden Richter, die im Anklang mit den „Wert- und Unwertvorstellungen“ des nationalsozialistischen Staates standen. Gleichzeitig kam diese Verurteilung auch einem Todesurteil sowohl für Zgorzelski als auch für Kamps gleich, denn die Richter wussten, dass für beide Männer nach der Verbüßung der jeweiligen Haftstrafe die polizeiliche Vorbeugehaft und damit Deportation in ein KZ drohte.
Denn dazu hatte Heinrich Himmler, Chef der deutschen Polizei und gleichzeitig Chef der gefürchteten SS, einer Untergliederung der Nazi-Partei, in Einklang mit der NS-Ideologie am 12. Juli 1940 pauschal bestimmt:
„Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“
Dieser Befehl von Himmler, einem der maßgeblichen Täter des NS-Regimes und einem Fanatiker der Homosexuellenverfolgung, hatte zur Folge, dass diejenigen, die die verhängte Haftstrafe voll verbüßt hatten, unmittelbar am Strafhaftende in ein KZ deportiert wurden. Als „Vorbeugehäftlinge“ kamen sie nicht mehr in Freiheit, sondern zu Tode. Sie starben durch Erschießung bei angeblichen oder von der SS inszenierten Fluchtversuchen oder durch Folter oder langsame Auszehrung aufgrund Unterernährung bei katastrophalen hygienischen Bedingungen, verbunden mit schwerster Sklavenarbeit. Dieser Weg war also ab dem Tag des Duisburger Gerichtsurteils, ab dem 15. August 1941, vorbestimmt für August Zgorzelski und Heinrich Kamps.
Zunächst wurde August Zgorzelski zur Verbüßung der Strafe im Gefängnis Anrath inhaftiert. Dort sollte er bis zum rechnerischen Strafende am 11.8.1943 bleiben. Dieser Tag war sicherlich auch der von ihm „herbeigesehnte“ Tag, verbunden mit der Hoffnung auf Entlassung in “Freiheit“ – wenn auch in eine ungewisse Zukunft. Es kam jedoch anders: Bereits seit 10. Dezember 1942 bereitete die Duisburger Polizei die polizeiliche Vorbeugehaft vor. Dieses Unrechtsverfahren kam einer weiteren Inhaftierung (Deportation in ein Konzentrationslager!) ohne jegliche gerichtliche Beteiligung gleich, d.h. einer Strafe ohne gerichtliches Urteil.
10. Dezember 1942, noch während Zgorzelski die Haftstrafe verbüßt, wird die von der Polizei beabsichtigte, anschließende Vorbeugehaft geplant.
Der nationalsozialistische Polizeiapparat funktionierte und arbeitete gnadenlos perfekt und zielgerichtet: Als oberste Instanz erteilte das Reichskriminalpolizeiamt in Berlin die Genehmigung zur polizeilichen Vorbeugehaft und bestimmte auch gleich das entsprechende KZ: Buchenwald bei Weimar in Thüringen.
Halten wir fest: Der Umgang mit Zgorzelski kann als Beispiel dienen für die nicht vorhandene Gewaltenteilung im NS-Staat: Die Exekutive, d.h. hier die Polizei, entschied über die Vorbeugehaft und setzte sie durch – ohne Beteiligung der rechtsprechenden Gewalt. An dem Verfahren war kein „ordentliches Gericht“ und kein Richter beteiligt.
Das Reichskriminalpolizeiamt Berlin, Chef Heinrich Himmler, erteilt die Genehmigung zur Vernichtung von August Zgorzelski
Doch bevor es dazu kam, dass August Zgorzelski am rechnerischen Strafende, dem 11.8.1943, aus der Haftanstalt an die Duisburger Polizei überstellt wurde anstatt entlassen zu werden, teilte der Vorstand des „Männergefängnisses und des Frauenzuchthauses zu Anrath“ in einem Führungsbericht an die Polizei am 23. Juli 1943 mit:
„August Zgorzelski verbüßt noch eine Strafe bis 18.8.1943. Wegen seiner schlechten Führung musste er verschiedentlich darunter 1mal mit 7 Tagen Arrest unter Nichtanrechnung auf die Strafzeit belegt werden. Seine Überführung nach dort erfolgt demnach nach dem 18.8.43.“
Was damals aus der Sicht der Anstaltsleitung in Anrath zur Bestrafung von Zgorzelski diente, nämlich eine zusätzliche Strafe von 7 Tagen Arrest, wirkt heute makaber: Dem Häftling wurde noch eine weitere Woche Gefängnis zu Teil, angesichts der drohenden KZ-Deportierung ein „Aufschub“ des im KZ drohenden Todes. Es kam, wie es von der Polizei in Duisburg und der SS als Betreiber der Konzentrationslager geplant war:
Der Anfang vom Ende: Letzte Station des August Zgorzelski, Buchenwald 1.10.1943
August Zgorzelski wurde deportiert und als Häftling Nr. 13204 mit dem Zusatz „Homos.“ in Buchenwald registriert. In der sogenannten Häftlingspersonalkarte wurde er als „Schmelzer“ bezeichnet, als letzter Wohnort wurde die Obermauer Str. 81 in Duisburg vermerkt. Als nächsten Angehörigen gab er Vater Hermann Zgorzelski an und dessen Duisburg-Hochfelder Adresse „Josef Klinkmannstr. 69“. In einem anderen Dokument aus Buchenwald wurde die Adresse des Vaters mit Josef Kriegmannstr. 69 notiert. (gemeint war die Ludwig-Knickmann-Str. 69, heute Karl-Jarres-Straße).
Was damals aus der Sicht der Anstaltsleitung in Anrath zur Bestrafung von Zgorzelski diente, nämlich eine zusätzliche Strafe von 7 Tagen Arrest, wirkt heute makaber: Dem Häftling wurde noch eine weitere Woche Gefängnis zu Teil, angesichts der drohenden KZ-Deportierung ein „Aufschub“ des im KZ drohenden Todes. Es kam, wie es von der Polizei in Duisburg und der SS als Betreiber der Konzentrationslager geplant war:
Verzeichnis aller persönlichen Dinge, die August Zgorzelski in Buchenwald abgeben musste. Er war ein „§175“-Häftling und trug die Nummer 13204 auf der gestreiften Häftlingskleidung und den „Rosa Winkel“. Seine persönliche Unterschrift (unten links) ist die letzte erhaltene Lebensäußerung. Quelle: ITS Arolsen
Die meisten Homosexuellen wurden in Buchenwald sofort bei Ankunft dem gefürchteten Arbeitskommando, dem Strafkommando im Steinbruch, zugewiesen. Hier kam unter den mörderischen Bedingungen eine hohe Zahl von Häftlingen zu Tode. Es ist heute unbekannt, ob auch August Zgorzelski dort bis zu seinem Tode schuften musste. Fest steht, dass er bereits am 8. Januar 1944 im KZ Buchenwald starb. Als Todesursache wurde „Magen- und Darmkatarrh“ vermerkt, eine beschönigende Formulierung für den qualvollen Auszehrungsprozess bei Mängelernährung, bei schwerster Arbeit unter katastrophalen Bedingungen und bei dauerhaften Schikanen und Quälereien und Folterungen durch die SS-Wachmannschaften.
Vater Hermann Z. wurde über den Tod seines Sohnes informiert. Der Nachlass seines Sohnes wurde ihm in einem Paket nach Duisburg zugestellt, ebenso ein Nachlassbetrag von 120 Reichsmark und 10 Pfennig aus dem Besitz seines Sohnes. Er nahm die Hinterlassenschaft entgegen. Von dem ursprünglich vorhandenen Geldbesitz des Sohnes in Höhe von 134 Reichsmark zogen die SS-Täter noch vor der Auszahlung die Paketgebühr und die Überweisungsgebühr für den Geldnachlass ab.
Ob Vater Hermann Zgorzelski die Urne aus Buchenwald anforderte und damit eine Beisetzung in Duisburg möglich wurde, ist nicht bekannt.
Soweit Angehörige auf Aushändigung der Urne bestanden, wurde ihnen diese an ihre Adresse übermittelt, sofern sie eine Bestattungsveranlassung vor Ort nachweisen konnten. Die Angehörigen wurden aber in dem Glauben gelassen, dass die Urne die Asche ihres Angehörigen enthielte. In der Regel enthielt die dann zugestellte Urne zwar Menschenasche aus dem Krematorium des KZ (so auch in Buchenwald praktiziert), es handelte sich jedoch regelmäßig um ein Gemisch von Aschen der Körper von verstorbenen Häftlingen. Der Verbrennungsvorgang der Leichen war ein massenhafter. Es war kein geordneter, würdevoller und sorgfältiger Akt im Umgang mit den sterblichen Überresten der KZ-Häftlinge. Die Beseitigung der Leichen in den Verbrennungsöfen der Konzentrationslager wurde von Häftlingen zwangsweise durchgeführt, oftmals wurden mehrere Leichen gleichzeitig in einem Ofen verbrannt. Eine Aschezuordnung zu einem bestimmten Häftling war auf diese Weise nicht möglich und von der SS auch nicht beabsichtigt.
Am 17.2.1944 nahm Vater Hermann Zgorzelski den Nachlass seines Sohnes entgegen. Quelle: ITS Arolsen (Hermann Zgorzelski starb am 4. Dezember 1946 in Duisburg im Sankt Marienkrankenhaus.)
Heinrich Kamps, geboren am 3. März 1902 in Viersen am Niederrhein, katholisch, ledig, Beruf: Färber, zweifach verurteilt wg. homosexueller Kontakte, zuerst 1925 zu 6 Monaten Gefängnis, zuletzt vom Landgericht Duisburg am 15. August 1941 in einem gemeinsamen Verfahren mit August Zgorzelski zu einem Jahr Gefängnis. Außerdem verurteilt wegen Bettelns. (An anderer Stelle wird die Straftat Betrug genannt.) Aufgrund seiner mehrfachen Verurteilung nach § 175 und wegen des Bettelns wurde er vom Landgericht als „asozialer Mensch“ ausgegrenzt. Haft in Remscheid-Lüttringhausen, danach in polizeiliche Vorbeugehaft genommen durch die Kripo Wuppertal, Deportation in das KZ Buchenwald am 2. April 1943, dort ermordet am 27. April 1943, angebliche Todesursache: linksseitige Lungenentzündung
Heinrich (Christian) Kamps wurde am 3. März 1902 in Viersen in der elterlichen Wohnung geboren als Sohn der Eheleute Heinrich und Anna Maria Kamps, geb. Peters. Außerdem hatte Heinrich Kamps mindestens eine bekannte, jüngere Schwester, Elisabeth (Viersen 1906 – Mönchengladbach-Rheindahlen 1982), die in den Akten als Ehefrau von Franz Schwedar verzeichnet wurde. Die Eheschließung war 1929 in Düsseldorf. Die Ehe wurde im Jahr 1953 geschieden. Ob Heinrich Kamps weitere Geschwister hatte und ob noch Nachkommen seiner Familienangehörigen leben, ist nicht bekannt.
Über das Leben von Kamps ist wenig bekannt. Er war katholisch, nicht verheiratet. Er wurde wie sein Vater Färber von Beruf, arbeitete also wie viele Männer am Niederrhein in der Textilindustrie. Erstmals geriet er im Jahr 1925 wegen eines homosexuellen Kontaktes „in die Mühlen der Justiz“. Er wurde zu 6 Monaten Gefängnis nach §175 in der Fassung des Kaiserreichs von 1871 verurteilt. Akten aus dieser Zeit konnten nicht gefunden werden. Ab diesem Zeitpunkt galt er als Straftäter, war vorbestraft.
Erneut wurde er verfolgt wegen eines homosexuellen Kontaktes zu August Zgorzelski (siehe die obige Schilderung zu August Zgorzelski) mit Gerichtsurteil des Landgerichtes Duisburg vom 15. August 1941 und verurteilt zu einem Jahr Gefängnishaft. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits wegen einer anderen Sache in Haft war (vermutlich Betteln), ist das rechnerische Ende der Haft nicht bekannt.
Fest steht: Heinrich Kamps verbüßte die Haft wegen §175 voll und saß zuletzt in der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen ein. Von dort sollte er jedoch am Strafhaftende nicht entlassen werden, sondern er wurde von der Kripo Wuppertal in Haft genommen und am 2. April 1943 in das KZ Buchenwald deportiert. Er wurde in dem KZ registriert als Häftling Nr. 4569 mit dem Zusatz/Kürzel „SV“ (Sicherungsverwahrung) und „BV“ (Berufsverbrecher). Die Kategorie „Homo“ oder „§175“ oder ähnliches wurde ihm nicht zugewiesen. Damit wurde er auch nicht für alle Personen im Lager (Wachpersonal und Häftlinge) als Homosexueller erkennbar gemacht. Für die Mehrzahl der Häftlinge und die SS-Wachmannschaft gehörten die mittels des sogenannten „Rosa Winkel“ an der Häftlingskleidung sichtbar gemachten Homosexuellen innerhalb des Lagers zur untersten Häftlingskategorie. Ihre Chancen zu überleben waren sehr gering. Wahrscheinlich wurde Kamps in Buchenwald mit dem „grünen Winkel“ der sogenannten Berufsverbrecher gekennzeichnet.
Obwohl er dort im Lager ohne den „Rosa Winkel“ demnach nicht zur einer der niedrigsten Häftlingskategorien, nämlich den „Homos“, gehörte, lebte Heinrich Kamps in Buchenwald nur noch kurze Zeit. Sein Tod wurde im KZ dokumentiert für den 27. April 1943. Die angebliche Todesursache sei eine „linksseitige Lungenentzündung“ gewesen – einen beschönigende und falsche Formulierung für einen systematisch herbeigeführten Tod durch schwerste Zwangsarbeit unter Mangelernährung, begleitetet von gewaltsamen Schikanen, Quälereien und Folterungen durch die SS-Wachmannschaften und bei katastrophalen hygienischen Bedingungen im Lager.
Erstaunlicherweise wurden der Vater und auch die Schwester, Frau Elisabeth Schwedar, in Viersen, Immelnbusch 7 wohnend, unmittelbar über den Tod informiert, denn es ist ein Brief erhalten geblieben, den die Schwester bereits einen Tag nach dem Tod ihres Bruders am 28.4.1943 an das KZ Buchenwald schrieb. Der dortige Eingang ist bereits für den 2. Mai 1943 dokumentiert.
Viersen, d. 28.4.1943
Die Direktion der Strafanstalt!
Wehrter Herr Derecktor!
Ich möchte einmal anfragen ob mein
Bruder noch Sachen im Lager hatt
dann möchte ich bitten mir die Sachen
an mich zurück zu senden. Es war eine
Hose einer Rock und ein Oberhemd
meine Photografie alles was mein
Bruder da hatt können Sie mir schicken.
Wenn Sie so gut wollen sein
In vorraus meinen
Besten Dank
Mit deutschem Grus
Frau Franz Schwedar
Viersen Immelenbusch 7
Wie auch im Falle von Zgorzelski, dessen Vater Hermann Zgorzelski im Jahr 1944 ebenfalls nach dem Tod seines Sohnes Post und Nachlasspaket aus Buchenwald bekam, wurde auch Vater Heinrich Kamps in Viersen benachrichtigt. Der perfekte bürokratische Abschluss des Verwaltungsvorganges durch die SS kann als Beleg dafür dienen, wie kleinteilig die „Organisation des Todes“ im NS-Staat funktionierte – auch noch im Jahr 1944 trotz massiver Kriegseinwirkungen. Gleichzeitig kann insbesondere der abgebildete Einzahlungsbeleg mit der Aufrechnung der Auslagen für Paketgebühr und Überweisungskosten angesehen werden als Beleg für die Abstumpfung der SS-Täter: Zunächst den Tod gewollt herbeiführen, dann den Nachlass um die Kosten für dessen Aushändigung an die Hinterbliebenen reduzieren. Ein Beispiel, wie in der NS-Diktatur Menschlichkeit auch bei den SS-Verwaltungstätern „auf der Strecke“ blieb.
Die nachfolgenden Abbildungen haben als Quelle: ITS Arolsen
August Zgorzelski und Heinrich Kamps waren zwei von mehreren Tausend Männern, die während der NS-Zeit wegen Homosexualität verfolgt wurden. Beide wurden in Buchenwald ermordet.
Verhöre, Folterungen, Kastrationen („freiwillig“), Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch ein „Outing“ im Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung überlebten viele nicht. Diejenigen Homosexuellen, die die NS-Zeit überlebten, sei es im KZ oder anderswo, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt. Der Strafrechtsparagraph 175 bestand in Westdeutschland in der verschärften Nazifassung bis 1969 (!). Trotz heftigster Attacken von Seiten der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister der BRD und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des Paragraphen ein. Nichtsdestotrotz wurden bis heute Anträge von Homosexuellen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, dass die Adenauer-Regierung zu verantworten hatte, immer abgelehnt, denn sie galten nach damaliger Anschauung als „rechtmäßig“ verurteilte Straftäter. Das vorurteilsbehaftete Gedanken“gut“ der Kaiserzeit und die rassistischen Einstellungen, Vorurteile und Handlungen der Nationalsozialisten in Bezug auf das Thema Homosexualität wurden in der BRD zur Handlungsgrundlage gegenüber Homosexuellen. In Deutschland gab es bis 1969 jegliche Art der Verfolgung, die es bereits im Nationalsozialismus gegeben hatte – außer Konzentrationslagerdeportierungen.
Erst seit 1994 – als Folge der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung -und aufgrund des Engagements der Schwulen- und Lesbenbewegung werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der Paragraph 175 wurde gestrichen. Im Jahr 2002 hob der Bundestag die Urteile auf, die während der NS-Zeit mittels des §175/175a gefällt wurden. Erst seit 2002 zählen Zgorzelski und Kamps nicht mehr als Straftäter. Sie wurden zu Unrecht verurteilt.
Erst im Sommer 2017 wurden diejenigen Urteile aufgehoben, die zwischen 1945 und 1969 nach dem Paragraphen 175/175a in der Nazifassung gefällt wurden und diejenigen Urteile, die nach der Strafrechtsreform zwischen 1969 und 1994 gefällt wurden. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Aufhebung der Urteile kam und kommt für die meisten Betroffenen, die inzwischen verstarben, und für deren Angehörige, Familien und Freunde (zu) spät. Erst in Sommer 2018 hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Fehler des Staates anerkannt und sich entschuldigt.
Am letzten Wohnort von August Zgorzelski in Duisburg, (ehemals Obermauerstr. 81) wurde am 12. Sept. 2018 ein Stolperstein zur Würdigung und Erinnerung an August Zgorzelski verlegt von dem Künstler und Schöpfer der Stolpersteine, Gunter Demnig. Das ehemalige dortige Wohnhaus sowie Großteile der Duisburger Innenstadt wurden im zweiten Weltkrieg zerstört.
Die jetzige Lage des Steines ist auf dem Fußweg „Rabbiner-Neumark-Weg“ in Höhe der Stadtmauerreste an der Junkernstraße. (siehe Markierung auf dem Foto)
Initiative zum Stolperstein, Forschung/Recherchen und Bericht zum Leben von August Zgorzelski und Heinrich Kamps stammen von Jürgen Wenke, Diplom-Psychologe, Bochum. Maßgebliche Unterstützung leisteten das Dezernat des Oberbürgermeisters, Referat für Gleichberechtigung und Chancengleichheit der Stadt Duisburg und das Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie der Stadt Duisburg sowie das Duisburger Stadtarchiv.
Weitere Stolpersteine in Bochum (10), Dortmund (1), Düsseldorf (1), Duisburg (1), Essen (1), Gelsenkirchen (4), Hattingen (1), Krefeld (1), Kreuztal-Kredenbach/Kreis Siegen (1), Remscheid (3), Solingen (1), Trier (2), Velbert (1), Witten (2) und Wuppertal (2) zur Erinnerung an verfolgte Homosexuelle sind bereits verlegt worden, weitere Stolpersteine werden folgen. Die Patenschaft für den Stolperstein zur Erinnerung an August Zgorzelski hat die Duisburger Bundestagsabgeordnete, Frau Bärbel Bas, übernommen
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Gedankt sei der Patin, den Stadtarchiven in Duisburg und Essen, dem Kreisarchiv in Viersen, dem Landesarchiv in Duisburg, dem Archiv der Gedenkstätte Buchenwald sowie zahlreichen weiteren Personen und Institutionen, die die Forschung unterstützt haben. Dem Jugendring Duisburg sei gedankt für die Planung und Organisation der Verlegung.
Der Stolperstein zur Erinnerung an Heinrich Kamps sollte laut Planung am 18. März 2020 in Viersen, Immelnbusch 7, verlegt werden. Durch die einschränkenden Maßnahmen gegen die Corona-Infektionsverbreitung war dieser Termin nicht möglich. Der Stolperstein für Kamps wurde tatsächlich am 10. Dezember 2020 verlegt. Die Patenschaft für diesen Stolperstein zur Würdigung von Heinrich Kamps haben Bündnis 90 / Die Grünen in Viersen übernommen. Auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ebenso allen, die die Forschung unterstützt haben und auch denjenigen Personen und Institutionen, die dazu beigetragen haben, dass die Verlegung der beiden Stolpersteine möglich wurde.