Die Verfolgung von Homosexuellen ging in der BRD weiter
Verhöre, Folterungen, Kastrationen („freiwillig“), Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch ein „Outing“ im Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung überlebten viele nicht. Diejenigen Homosexuellen, die die NS-Zeit überlebten, sei es im KZ oder anderswo, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt. Der Strafrechtsparagraph 175 bestand in Westdeutschland in der verschärften Nazifassung bis 1969 (!). Trotz heftigster Attacken von Seiten der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister der BRD und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des Paragraphen ein. Nichtsdestotrotz wurden bis heute Anträge von Homosexuellen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, dass die Adenauer-Regierung zu verantworten hatte, immer abgelehnt, denn sie galten nach damaliger Anschauung als „rechtmäßig“ verurteilte Straftäter. Das vorurteilsbehaftete Gedanken“gut“ der Kaiserzeit und die rassistischen Einstellungen, Vorurteile und Handlungen der Nationalsozialisten in Bezug auf das Thema Homosexualität wurden in der BRD zur Handlungsgrundlage gegenüber Homosexuellen.
In Deutschland gab es bis 1969 jegliche Art der Verfolgung, die es bereits im Nationalsozialismus gegeben hatte – außer Konzentrationslagerdeportierungen.
Erst seit 1994 – als Folge der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung -und aufgrund des Engagements der Schwulen- und Lesbenbewegung werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der Paragraph 175 wurde gestrichen. Im Jahr 2002 hob der Bundestag die Urteile auf, die während der NS-Zeit mittels des §175/175a gefällt wurden. Erst seit 2002 zählen verurteilte Homosexuelle nicht mehr als Straftäter. Sie wurden zu Unrecht verurteilt.
Erst im Sommer 2017 wurden diejenigen Urteile aufgehoben, die zwischen 1945 und 1969 nach dem Paragraphen 175/175a in der Nazifassung gefällt wurden und diejenigen Urteile, die nach der Strafrechtsreform zwischen 1969 und 1994 gefällt wurden. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Aufhebung der Urteile kam und kommt für die meisten Betroffenen, die inzwischen verstarben, und für deren Angehörige, Familien und Freunde (zu) spät. Erst in Sommer 2018 hat der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Fehler des Staates anerkannt und sich entschuldigt.
Erstmals wurde in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 27. Januar 2023 auch der Verfolgung sexueller Minderheiten durch die Nationalsozialisten gedacht. Der Weg zur dieser Gedenkstunde war lang – dass es 78 Jahre nach Ende der NS-Diktatur erstmalig zu einer Würdigung auch der homosexuellen Opfer innerhalb der jährlichen Gedenkstunde des Bundestages zum 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag, gekommen ist, haben wir maßgeblich der Initiative des Historikers und Autors Dr. Lutz van Dijk und zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern zu verdanken.
Die etwas mehr als einstündige Veranstaltung steht am Beginn der 83. Sitzung des Bundestages vom 27. Jan. 2023 ab 10.00 Uhr bis 11.12 Uhr.
Die Aufzeichnung der Übertragung finden Sie hier:
Auf dieser Homepage finden sich Darstellungen der Lebens- und Verfolgungswege von Männern, die in Auschwitz starben (Fritz Stein / Stolperstein in Wismar, Ernst Salomon / Stolperstein in Trier, Fredy Hirsch /Stolperstein in Aachen)) oder Auschwitz überlebten (Ernst Papies / Stolperstein in Gelsenkirchen, Kurt Brüssow / Stolperstein in Greifswald)
Weitere Infos zu den Bemühungen um die Gedenkstunde finden Sie hier: