Wir erinnern an Johannes Winkels
Johannes Winkels: geboren am 8. Mai 1907 in Grefrath, gestorben 17. Feb. 1943 im KZ Dachau
Johannes Winkels: geboren am 8. Mai 1907 in Grefrath, gestorben 17. Feb. 1943 im KZ Dachau
Johann Martin (genannt „Johannes“) Winkels, geboren am 8. Mai 1907 in Grefrath (Niederrhein), letzter freiwilliger Wohnort vor Beginn der NS-Verfolgung in Krefeld, St.-Anton-Straße 68. Beruf: Schneider. Im März 1939 vom Landgericht in Krefeld zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt nach § 175 wg. homosexueller Kontakte (unter Anrechnung von 110 Tagen Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Krefeld), Haft zunächst ab 13. März 1939 im Gefängnis Wuppertal, ab 25. März 1939 im Gefängnis Anrath; am 9. Sept. 1939 in das Gefangenenlager Rodgau I in Hessen zur Zwangsarbeit verbracht. Möglicherweise am rechnerischen Ende der Haft am 18.11.1940 entlassen und kurze Zeit in „Freiheit“. Dann in polizeiliche Vorbeugehaft genommen und am 11. Februar 1941 in das KZ Sachsenhausen deportiert, von dort am 21.5.1941 in das KZ Natzweiler im Elsass, von dort am 5.12.1942 in das KZ Dachau bei München deportiert, dort ermordet am 17. Feb. 1943, angebliche Todesursache „Versagen von Herz und Kreislauf bei Unterleibstyphus“
Johannes Winkels kam am 8. Mai 1907 in Grefrath bei Krefeld am Niederrhein zur Welt. Die Eltern waren der damalige Postschaffner (später auch als Postbote, Briefträger und Oberpostschaffner bezeichnet) Johann Heinrich Winkels (Grefrath 1873 – 1955) und dessen Ehefrau Barbara Luzia Winkels, geborene Faber (Grefrath 1866 – 1934). Die katholischen Eltern heirateten in Grefrath im Jahr 1900. Johannes Winkels war das jüngste von 4 Kindern der Eltern: Dem Erstgeborenen Peter Winkels (Grefrath 1902 – 1962) folgten die Kinder Gertrud (Geburt und Tod im Jahr 1904) und Wilhelm (Geburt und Tod 1905) und zuletzt Sohn Johannes Winkels.
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Johannes wuchs also gemeinsam mit dem fünf Jahre älteren Bruder Peter bei seinen Eltern in Grefrath auf. Peter Winkels wurde Schmied von Beruf, er heiratete im Jahr 1924 in Oedt (heute Teil von Grefrath) die Fabrikarbeiterin Maria Helene Cleven. (geb. in Oedt 1901). Aus der Ehe ging ein Kind, die Tochter Katharina Winkels (1924-2008) hervor. 2 Kinder dieser Nichte von Johannes Winkels konnten im Zuge der Recherchen gefunden werden. Den Großonkel hatten sie nicht kennenlernen können. Nach persönlichen Erinnerungen wurde in der Familie nicht über Johannes Winkels gesprochen, aber es sei überliefert worden, dass er wegen „Homophilität“ unter Hitler vergast worden sei. Die Nachkommen des Bruders von Johannes begrüßten die Stolpersteinverlegung zur Würdigung des Großonkels.
Winkels wohnte zunächst nach dem Tod der Mutter 1934 beim Vater in Grefrath, Oststraße 20. (Diese Straße wurde in Stadionstraße umbenannt, und zwar nach dem Zusammenschluss von Grefrath und Oedt im Zuge der kommunalen Neugliederung.) Wir wissen aus noch existierenden Meldeunterlagen, dass Johannes Winkels am 14. Dezember 1937 nach Krefeld zog und zunächst unter der Adresse Westwall 92, einem Mehrparteienmietshaus, gemeldet war. Danach ab 22. Februar 1938 zog er in das Haus St.Anton-Str. 68. Unter dieser Adresse wohnte er alleine. Nach heutiger Kenntnis war dies sein letzter freiwilliger Wohnort vor Beginn der NS-Verfolgung.
Eine erhaltene Karteikarte aus dem Gefängnis Wuppertal dokumentiert den Beginn der Verfolgung: Am 9. März 1939 wurde der Schneider Winkels in Krefeld vom Gericht zu 2 Jahren Gefängnis wegen „widernatürlicher Unzucht“ verurteilt. Er hatte zuvor 110 Tage, d.h. fast vier Monate, in Untersuchungshaft gesessen, die auf die Haftzeit angerechnet wurde. (Dadurch verlor er auch die Wohnung in Krefeld.) Die Anrechnung der Untersuchungshaft geschah in der Regel dann, wenn die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft durch ein „Geständnis“ bestätigt wurden. Er war also wahrscheinlich geständig, mit einem anderen Mann (oder mehreren) sexuellen Kontakt gehabt zu haben. Genaueres über Verhöre, verschärfte Verhöre, Folter, polizeiliche Ermittlungen, Urteil usw. ist nicht überliefert. Die für die damalige Zeit lange Untersuchungshaft deutet darauf hin, dass die Gestapo akribisch und umfangreich ermittelte. Er ist aufgrund fehlender Dokumente nicht belegbar aber sehr wahrscheinlich, dass sich die Ermittlungen auch gegen andere Beschuldigte richtete und es zu weiteren Verfahren der Strafverfolgung gegen Homosexuelle kam. Vom Gerichtsgefängnis Krefeld, in dem er während der U-Haft gefangen war, wurde Johannes Winkels am 13. März in das Gefängnis Wuppertal überführt. Auch das geplante Ende der Haft wurde vermerkt, wonach Winkels am 23.11.1940 entlassen werden sollte. Bis zu dieser ersten Festnahme und Verurteilung und damit Stigmatisierung als Homosexueller war Johannes Winkels ein unbescholtener Mann, er hatte auch keinerlei Vorstrafen. Von Gefängnis Wuppertal wurde er bereits am 25.5.1939 in das Gefängnis von Anrath am Niederrhein gebracht. Auch hier blieb er nicht die gesamte Haftzeit, sondern wurde am 9. Sept. 1939 in das Gefangenenlager Rodgau I bei Dieburg in Hessen zur Zwangsarbeit gebracht.
Sowohl die Krefelder Meldeunterlagen als auch die Karteikarte aus dem Gefängnis Wuppertal halten fest, dass er am 18. Nov. 1940 aus dem Lager in Hessen entlassen werden sollte und nicht, wie ursprünglich vermerkt, am 23.11.1940. Diese angegebene Entlassung scheint im November 1940 erfolgt zu sein, denn danach war Johannes Winkels in Hessen noch mit einer Wiesbadener Anschrift vermerkt – die Rückkehr nach Krefeld war aufgrund des dortigen Wohnungsverlustes und der damaligen Verhaftung sicherlich undenkbar. Ob der kurze Aufenthalt in Wiesbaden auch der Tatsache geschuldet war, dass Winkels aufgrund der miserablen Haftbedingungen im Lager Rodgau in schlechtem Gesundheitszustand entlassen worden und daher kaum reisefähig für die Rückkehr in seine Heimat am Niederrhein war, bleibt ungewiss. Heute ist auch nicht mehr feststellbar, ob die Entlassung aus dem Gefangenenlager Rodgau durch die Strafbehörde überhaupt geplant war oder versehentlich passierte.
Jedoch steht fest, dass Winkels nicht mehr in seine Heimat an den Niederrhein zu Vater und Bruder zurückkehren konnte und sich nach der Haftverbüßung nur wenige Wochen in Freiheit befand. Denn bereits am 11. Februar 1941 wurde er im KZ Sachsenhausen bei Berlin registriert. Er war der Häftling mit der Nummer 35787. Die Häftlingskategorie war: „Berufsverbrecher“.
Halten wir fest: Der nicht vorbestrafte Schneider Johannes Winkels wurde in Krefeld verurteilt wegen homosexueller Kontakte. Nach voller Verbüßung (!!) der Gefängnishaft von 2 Jahren kam er möglicherweise für kurze Zeit „in Freiheit“, wurde aber erneut verhaftet. Diese sogenannte „polizeiliche Vorbeugehaft“ ohne ein gerichtliches Verfahren oder neue Verurteilung führte unmittelbar ohne Beschluss durch ein Gericht zur Deportation in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Der Rechtsstaat war seit 1933 in Deutschland abgeschafft, Gewaltenteilung im Staat gab es nicht. Es herrschte die NSDAP mit ihren zahllosen Unterorganisationen in allen Bereichen der Gesellschaft. Die polizeiliche Maßnahme der Vorbeugehaft war Folge eines Erlasses des SS-Reichsführers und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler.
Der hatte dazu am 12. Juli 1940 pauschal bestimmt:
„Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“
Dieser Befehl von Himmler, einem der maßgeblichen Täter des NS-Regimes und einem Fanatiker der Homosexuellenverfolgung, hatte zur Folge, dass diejenigen, die die verhängte Haftstrafe voll verbüßt hatten, unmittelbar am Strafhaftende in ein KZ deportiert wurden. Als „Vorbeugehäftlinge“ kamen sie nicht mehr in Freiheit, sondern zu Tode. Sie starben durch Erschießung bei angeblichen oder von der SS inszenierten Fluchtversuchen oder durch Folter oder langsame Auszehrung aufgrund Unterernährung bei katastrophalen hygienischen Bedingungen verbunden mit schwerster Sklavenarbeit. Dieser Weg war nunmehr für Winkels vorbestimmt.
Halten wir fest: Spätestens seit dem Himmler-Erlass wurden Homosexuelle doppelt bestraft, zunächst durch volle Verbüßung der von den nationalsozialistischen Richtern verhängten hohen Strafen in Gefängnis, Zuchthaus und Zwangsarbeitslagern, dann durch erneute Festnahme durch die Polizei, die die Vorbeugehaft vornahm und die Männer in ein Konzentrationslager deportierte, das waren meist die Lager Sachsenhausen, Buchenwald, Dachau, Neuengamme, usw.
Es ist wahrscheinlich, dass Johannes Winkels bei Einlieferung nach Sachsenhausen bei Berlin (600 km von Krefeld) zunächst an seiner Häftlingskleidung für jeden sichtbar einen sogenannten „Grünen Winkel“ derjenigen Häftlinge trug, die von der SS (Betreiber der Konzentrationslager) als Kriminelle bezeichnet wurden, denn Johannes Winkels wurde bei Aufnahme in Sachsenhausen zunächst als Berufsverbrecher kategorisiert. Die Träger eines grünen Winkels, ebenso wie die Träger eines roten Winkels (das waren in der Sichtweise der SS die sogenannten „Politischen Häftlinge“), standen in der Hierarchie der Häftling meist an oberster Stelle, dagegen waren z.B. Juden und Homosexuelle (mit dem rosa Winkel markiert) diejenigen, die am unteren Ende der Häftlingshierarchie standen und deren Überlebenschancen damit gering waren. Sie waren häufiger Schikanen und Gewalt durch die SS ausgesetzt als andere Häftlingsgruppen; aus der Solidarität der Häftlinge untereinander waren sie häufig ausgeschlossen.
Als Johannes Winkels vom KZ Sachsenhausen am 21. Mai 1941 in das KZ Natzweiler im Elsass in den Vogesen verschleppt wurde (Entfernung Natzweiler/Krefeld ca. 500 km, Entfernung Sachsenhausen/Natzweiler ca. 830 km), legte die SS in Sachsenhausen eine Transportliste der dorthin gebrachten Häftlinge an. In dieser Liste wurde Winkels als Listennummer 210 nunmehr als „BV 175“ kategorisiert. Es ist wahrscheinlich, dass er nunmehr den „Rosa Winkel“ der Homosexuellen an der Häftlingskleidung tragen musste. Das Kürzel „BV 175“ hat die Bedeutung: „Berufsverbrecher nach §175“. Es wurde denjenigen Männern verpasst, die im Sprachgebrauch der SS als homosexuelle Wiederholungstäter und damit Berufsverbrecher galten. So war die Nummer 35787 nunmehr ein „BV 175“. Die Entmenschlichung und Verdinglichung erreichte nicht nur sprachlich ihren Höhepunkt.
Die Nationalsozialisten, seit 1933 an der Macht, haben ihr rassistisches und menschenverachtendes Weltbild in sogenannte „Gesetze“ gegossen: U.a. verschärfen sie mit Wirkung vom 1. Sept. 1935 den noch aus der Kaiserzeit stammenden § 175, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellt. Sie erweitern und verschärfen Tatbestände und konstruieren und führen neue ein (so kann bereits Küssen oder wollüstige Blicke und Kontaktaufnahme zu Ermittlungen und Bestrafung führen, ebenso wird erstmals mann-männliche Prostitution strafrechtlich verfolgt), sie vergrößern den Strafrahmen des § 175 von Gefängnis auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren. Sie bespitzeln Treffpunkte von Homosexuellen, führen Razzien durch, legen Listen von namentlich bekannten Homosexuellen an, üben Zensur aus und verbieten Zeitschriften und zerschlagen Vereine. Zudem erzeugt auch die öffentliche Hetze in der gleichgeschalteten Presse und den NS-PropagandaMedien („Röhm-Putsch“) gegen homosexuelle Männer ein gesellschaftliches Klima der Angst und Einschüchterung. Die Nationalsozialisten nutzen und vertrauen auf und vertiefen die in der Bevölkerung vorhandenen Vorurteile gegenüber Homosexuellen und stempeln sie zu sogenannten „Volksfeinden“. Denunzierungen sind Teil dieses Szenarios, Denunzianten fühlen sich sicher. Ebenso wird der §175 als Werkzeug zur Verfolgung von katholischen Geistlichen eingesetzt. Die zum Teil „unbequeme“ katholische Kirche soll so in Misskredit gebracht werden. Zur systematischen Verfolgung wird bereits 1934 ein Sonderdezernat Homosexualität bei der Gestapo geschaffen, verschärfend wird im Jahr 1936 eigens die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ installiert. Die Zucht von „arischen“ Menschen ist das Ziel. Personen, die nicht zur konsequenten Bevölkerungsvermehrung beitragen, sollen „ausgemerzt“ werden. Mit dem 15. Sept. 1935 wird auch die Spirale der Verfolgung von jüdischen Bürgern durch die erlassenen Nürnberger Rassegesetze weitergedreht.
Wie ging es weiter für Johannes Winkels?
Im KZ Natzweiler wurde er im Nummernbuch am Tag der Aufnahme wiederum als BV175 registriert, er wurde zum namenlosen Häftling Nr. 111, trug den „Rosa Winkel“. Hier erlebte Johannes seinen letzten Geburtstag am 8. Mai 1942. Er musste im KZ Natzweiler bis zum 5. Dezember 1942 Zwangsarbeit leisten, war dort also insgesamt mehr als 1 ½ Jahre unter schrecklichsten Lebensbedingungen eingesetzt. Ob er im gefürchteten Arbeitskommando Steinbruch oder im Straßenbau oder anderswo eingesetzt wurde, ist nicht mehr feststellbar. Die letzte Lebensstation (oder präziser: die letzte Station vor der Ermordung) war das KZ Dachau bei München. Wiederum legte die SS eine (heute noch erhaltene) Transportliste an. An der Stelle Nr. 103 dieser Liste war Winkels, Johannes nunmehr als „BV“ verzeichnet, was bedeutete, dass er die Kennzeichnung als Homosexueller wieder „verlor“. In Dachau war er als „PSV“, d.h. „Polizeilich Sicherungsverwahrter“ im Aufnahmebuch und auf der Häftlingskarteikarte registriert. Er war demnach wie zu Beginn der KZ-Internierung in Sachsenhausen ein Häftling der Kategorie „Krimineller“, bekam dort also einen grünen Winkel an die Kleidung geheftet. Auch die erhaltene Häftlingskarteikarteikarte aus Dachau belegt diese Zuordnung.
Schreibstubenkarte KZ Dachau, ITS Archiv 1.1.6.7. / 10781906
Wir sehen auch auf dieser Karte: Johannes Winkels wurde der Dachau-Häftling Nr. 40986, er wurde als ledig (l.), römisch-katholisch (r.k.) und Reichsdeutscher (D.R.) mit Abkürzungen belegt, der Tod nach etwas mehr als 2 Monaten im Konzentrationslager Dachau ist eingestempelt: + 17.Feb.1943
Für Johannes Winkels war der Wechsel der Winkelfarbe von rosa im KZ Natzweiler zu grün im KZ Dachau sicherlich mit der Hoffnung auf eine wenn auch geringfügige Verbesserung der Überlebenschancen verbunden: Von der hochgradig stigmatisierten, anzahlmäßig vergleichsweise kleinen Gruppe der Homosexuellen zur zahlenmäßig großen und nur im Vergleich weniger gefährdeten Gruppe der Häftlinge mit dem grünen Winkel „umkategorisiert“ zu werden, bedeutete auch, nicht mehr so stark im Fokus der Schikanen und Übergriffe durch SS-Bewacher zu stehen und bei den Mithäftlingen nicht als „Homo oder 175er“ zu gelten.
Letztlich aber rettete ihn diese Umkategorisierung im Lager Dachau nicht, denn Winkels überlebte die Verfolgung nicht: Er starb in der sogenannten „Typhus-Baracke“ (Block 13) des KZ am 17. Februar 1943. Die Sterbeurkunde aus Dachau nannte als Todesursache „Versagen von Herz und Kreislauf bei Unterleibstyphus“. Eine beschönigende Formulierung für einen Mord und einen bewusst herbeigeführten, qualvollen Tod.
Um eine scheinbare Normalität vorzutäuschen, erhielten die Angehörigen von vielen KZErmordeten eine Todesnachricht von der KZ-Verwaltung nach dem Muster: „Leider ist ihr Verwandter an der Krankheit xy verstorben. Die Leiche kann nicht besichtigt werden und wurde bereits aus hygienischen Gründen eingeäschert. Sie können die Urne zur Besetzung auf einem Friedhof anfordern ….“ Außerdem wurden oftmals die persönlichen Dinge eines Häftlings und mögliche Bargeldbeträge aus seinem Besitz durch die KZ-Betreiber an die Ortspolizei im Heimatort des Getöteten übermittelt, und die Ortspolizei wiederum lieferte den letzten Besitz dann an die Hinterbliebenen aus. Zuvor wurden von dem Geldeigentum der Häftlinge, sofern vorhanden, noch Kosten für Paketporto und Geldüberweisungsgebühr abgezogen.
Das obige bürokratische Verfahren im Duktus deutscher Beamtengründlichkeit (die SS-Täter waren keine Beamten, sondern ein Teil der Nazi-Partei) täuschte Normalität, Ordnung und Korrektheit vor und verhinderte in der Regel Nachfragen der Angehörigen. Es erweckte den Anschein von „Korrektheit und Anständigkeit“. Nur wenige Angehörige trauten sich, Nachfragen zu stellen, die Äußerungen von Zweifel konnten nachteilige Folgen für den Zweifelnden haben. Der Vater (gestorben in Grefrath 1955) von Johannes Winkels, der länger lebte als sein Sohn, wurde von den SS-Tätern aus Dachau über den Tod seines Sohnes informiert. Er sorgte dafür, dass die Urne nach Grefrath transportiert wurde. Am 1.4.1943 fand die Beisetzung, eine Einzelgrabbestattung (sog. Wahlgrab) auf dem städtischen Friedhof, statt. Die 30jährige Rufefrist lief 1973 ab, sie wurde verlängert und das Grab blieb bis 2008 erhalten. Die Dokumente belegen, dass die Nichte Katharina, die 2008 starb, das Grab dauerhaft bis zu Ihrem Tod gepflegt hatte. Vater und Nichte Katharina von Johannes Winkels hatten ihren Verwandten nicht vergessen und durch die Bestattung und die Grabpflege den Ermordeten gewürdigt. Das Grab existiert heute nicht mehr und der Ort wurde für eine folgende Bestattung freigegeben.
Es ist auch belegt, dass das Grefrather Standesamt vom Tode informiert wurde, denn in der Geburtsurkunde von Johannes Winkels wurde der heute noch zu lesende Nachtrag/Randvermerk „Gestorben Nr. 1244/1943 Dachau II“ angebracht. Das Sonderstandesamt Dachau II war ein speziell im KZ eingerichtetes Standesamt, das die im KZ massenweise anfallenden Sterbeurkunden ausstellte. Man könnte es auch als Standesamt des Todes bezeichnen.
(aus Wikipedia, Zugriff November 2018)
NS-Sonderstandesamt
Ein NS-Sonderstandesamt war ein Standesamt, das für spezielle Zwecke in der NS-Zeit geschaffen wurde. Meist kümmerte es sich um die standesamtliche Abwicklung von Todesfällen. Als Namensanhang trugen sie meist die „II“ (römisch Zwei). Hintergrund: Die Zuständigkeit regulärer Standesämter für die Führung der Personenstandsregister und Ausstellung von Personenstandsurkunden wurde zu einer Gefahr und Last bei der Durchführung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Geheimhaltung. Die notwendigen Beurkundungen (meist Sterbeurkunden) mussten an den Geburtsort, den letzten Wohnort, das Finanzamt und Arbeitsamt sowie an Angehörige der Opfer gesandt werden. Deshalb fälschten sogenannte Sonderstandesämter Todesorte, Todesursachen und Todestage, um die begangenen Verbrechen zu verschleiern.
Johannes Winkels war einer von mehreren Tausend Männern, die während der NS-Zeit wegen Homosexualität verfolgt wurden. Verhöre, Folterungen, Kastrationen („freiwillig“), Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch ein „Outing“ im Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung überlebten viele nicht. Diejenigen Homosexuellen, die die NSZeit überlebten, sei es im KZ oder anderswo, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt. Der Strafrechtsparagraph 175 bestand in Westdeutschland in der verschärften Nazifassung bis 1969 (!). Trotz heftigster Attacken von Seiten der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister der BRD und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des Paragraphen ein. Nichtsdestotrotz wurden bis heute Anträge von Homosexuellen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, das die Adenauer-Regierung zu verantworten hatte, immer abgelehnt, denn sie galten nach damaliger Anschauung als „rechtmäßig“ verurteilte Straftäter. Das vorurteilsbehaftete Gedanken“gut“ der Kaiserzeit und die rassistischen Einstellungen, Vorurteile und Handlungen der Nationalsozialisten in Bezug auf das Thema Homosexualität wurden in der BRD zur Handlungsgrundlage gegenüber Homosexuellen. In Deutschland gab es bis 1969 jegliche Art der Verfolgung, die es bereits im Nationalsozialismus gegeben hatte – außer Konzentrationslagerdeportierungen.
Erst seit 1994 – als Folge der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung und aufgrund des Engagements der Schwulen- und Lesbenbewegung werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der Paragraph 175 wurde gestrichen. Im Jahr 2002 hob der Bundestag die Urteile auf, die während der NS-Zeit mittels des §175/175a gefällt wurden. Erst seit 2002 zählt Johannes Winkels nicht mehr als Straftäter. Er wurde zu Unrecht verurteilt. Erst im Sommer 2017 wurden diejenigen Urteile aufgehoben, die zwischen 1945 und 1969 nach den Paragraphen 175/175a in der Nazifassung gefällt worden waren und diejenigen Urteile, die nach der Strafrechtsreform zwischen 1969 und 1994 gefällt worden waren. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Aufhebung der Urteile kam und kommt für die meisten Betroffenen, die inzwischen verstarben, und für deren Angehörige, Familien und Freunde (zu) spät. Erst in Sommer 2018 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Fehler des Staates anerkannt und sich entschuldigt.
Die Verlegung des Stolpersteins erfolgte am 6. Februar 2019.
Am letzten Wohnort von Johannes Winkels, St.-Anton-Str. 68 in Krefeld, wurde am 6. Februar 2019 ein Stolperstein zur Würdigung und Erinnerung von dem Künstler und Schöpfer der Stolpersteine, Gunter Demnig, verlegt. Nach dem im Jahr 2017 in der Königstr. 45 für den Schmied Peter Jöcken verlegten Stolperstein ist der für Johannes Winkels verlegte Stein der zweite Stolperstein in Krefeld, der an einen Mann erinnert, der als Homosexueller verfolgt wurde. Weitere Lebenswege von Homosexuellen werden erforscht, weitere Stolpersteine zur Würdigung von Homosexuellen sind in Vorbereitung. Das ursprüngliche Wohnhaus in der St.-Anton-Straße 68 ist nicht mehr erhalten, daher liegt der Stolperstein am Ort des damaligen Wohnhauses: im Pflaster vor dem Haupteingang der Zentrale der Volksbank Krefeld eG. Initiative zum Stolperstein, Forschung/Recherchen und Bericht zum Leben von Johannes Winkels stammen von Jürgen Wenke, Diplom-Psychologe, Bochum. Weitere Stolpersteine in Bochum (11), Dortmund (1), Düsseldorf (1), Duisburg (5), Essen (1), Gelsenkirchen (4), Hattingen (1), Krefeld (1), Kreuztal-Kredenbach/Kreis Siegen (1), Remscheid (3), Solingen (1), Trier (3), Velbert (1), Witten (2) und Wuppertal (2) zur Erinnerung an verfolgte Homosexuelle sind bereits verlegt worden, weitere Stolpersteine werden folgen. Die Patenschaft für den Stolperstein zur Erinnerung an Johannes Winkels hat das Gymnasium Fabritianum in Krefeld übernommen. Die Finanzierung des Stolpersteines hat die Stadt Krefeld im Rahmen des „Roze Jaar Venlo-Krefeld“ übernommen. Gedankt sei dem Gymnasium als Paten, ebenso dem Stadtarchiv in Krefeld, der Gemeinde Grefrath, dem Kreisarchiv in Viersen sowie zahlreichen weiteren Archiven in Deutschland, ebenso Personen und Institutionen, die die Forschung unterstützt haben. Ebenso gedankt sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Villa Merländer in Krefeld für die Organisation der Verlegung der Stolpersteine.