Die Bundesrepublik unter der Adenauer-Regierung ließ nach Ende des Faschismus viel Zeit verstreichen, bevor sie Anfang der 1950er Jahre ein Anerkennungsgesetz für die Geschädigten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf den Weg brachte. Und erst am 1.10.1953 trat auch das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nat.soz. Verfolgung (BEG) in Kraft.
Doch die Adenauer-Regierung hatte nicht den Willen gehabt, Homosexuelle als Verfolgte anzuerkennen. (Bedenkt man, dass Konrad Adenauer und seine Ehefrau Gussie in dem Gestapo-Gefängnis, dass sich ebenfalls auf dem Gebäudekomplex der Arbeitsanstalt in Brauweiler befand, fast zeitgleich wie Paul Friederich im Jahr 1944 gefangen gehalten und malträtiert worden waren, so bekommt die spätere Ausgrenzung von Homosexuellen durch die Adenauer-Regierung einen besonderen, üblen „Beigeschmack“.) Zu viele ehemalige Nationalsozialisten in Reihen der Regierung, in Justiz und Verwaltung hatten es geschafft, an entscheidenden Stellen des Regierungs- und Verwaltungsapparates weiterhin Macht auszuüben und Einfluss zu nehmen. Homosexuelle blieben von der Anerkennung als Verfolgte und damit auch von materieller Wiedergutmachung ausgeschlossen, ebenso Angehörige. Selbst in seinem unmittelbaren Umfeld hatte Adenauer belastete Personen beschäftigt, z.B. Hans Globke als Leiter des Bundeskanzleramtes, ein vom nationalsozialistischen Weltbild geprägter Beamte, ein in jedem System einsatzbereiter Jurist.
Die Strafrechtsparagraphen 175/175a wurden in der verschärften Form, nämlich der nationalsozialistischen Fassung von 1935 unverändert beibehalten und blieben bis 1969 in Kraft. Homosexuelle galten weiterhin als Straftäter und wurden auch nach 1945 weiter in hoher Zahl verfolgt, verurteilt, ausgegrenzt. In der Nachkriegszeit gab es jede Form der Verfolgung, die es auch im Nationalsozialismus gegeben hatte – bis auf Konzentrationslager. Die Verurteilungszahlen blieben auf ähnlich hohem Niveau wie zur NS-Zeit.
Vor diesem negativen, stark von Ressentiments geprägten gesellschaftlichen Hintergrund stellten die beiden Schwestern von Paul Friederich, Johanna und Luise im Jahr 1953 beim Amt für Wiedergutmachung der Stadt Duisburg einen Anerkennungsantrag für den ermordeten Bruder als Verfolgter des NS-Regimes und einen Entschädigungsantrag für sich. Weil „mein Bruder mit mir in gemeinsamen Haushalte lebte und für den Unterhalt sorgte“ , so schrieb Johanna F. im Antrag vom 7.4.1953. In der Antragsbegründung machte sie ebenfalls geltend,
„dass ihr Bruder am 6. Juli 1943 wegen seiner gegnerischen Einstellung zur ehemaligen NSDAP festgenommen, zunächst dem örtlichen Gerichtsgefängnis und später dem KZ Mauthausen überwiesen worden ist“.(Quelle: Akte im Stadtarchiv Duisburg Entschädigungsverfahren 506/3064“)
Schon fast makaber, gleichzeitig ein Körnchen Wahrheit enthaltend, ist der Übertragungsfehler, den der antragsbearbeitende Beamte im Duisburger Wiedergutmachungsamt machte. Auf dem Deckblattformular „Verhandlungen betr. Paul Friederich“ trug er handschriftlich ein: „Gestorben 4.6.1943“, so als sei der Tag der Verhaftung durch die Gestapo der Todestag – was im übertragenen Sinne in gewisser Weise auch stimmte. (Anmerkung: Die Angabe „4.6.1943“ war darüber hinaus ein Fehler, den schon die Schwester gemacht hatte in ihrem Antrag. Die Verhaftung geschah am 6.7.1943.)
Der zuständige Duisburger Stadtdirektor Dr. W., als Vertreter des Oberstadtdirektor, nahm am 1. März 1955 (das Verfahren zog sich hin) gegenüber dem Regierungspräsidenten in Düsseldorf in der Sache Stellung und stellte die von der Behörde angestellten Ermittlungen dar. Es wurden die alten Gestapo-Akten, die noch auffindbar waren, zur Abwehr der Ansprüche der Geschwister Friederich herangezogen, ebenso das Urteil gegen Friederich von Dezember 1943 bzw. die Verfahrenseinstellung von 1936. Diese Akten sind aus heutiger Sicht „Täterakten“, wobei mit Tätern die Gestapo-Beamten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte gemeint sind, die sich als Ausführende der nationalsozialistischen Grundhaltung verstanden oder missbrauchen ließen. Sie waren „Hitlers willige Vollstrecker.“ Ausführende einer Grundhaltung, nach der es ein wertvolles, rassisch überlegenes Volk gäbe, das aus deutschen arischen Menschen bestünde. Und dass es ebenso rassisch Minderwertige oder den Volkskörper schädigende Menschen gäbe, deren Aussonderung und Ermordung legitim seien. Auf dieser menschenverachtenden Grundhaltung fußte auch die Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen, Behinderten, Juden.
Diese Täterakten aus der NS-Zeit lieferten also das Argument gegen Friederich, er sei ja „ausschließlich wegen seiner unnatürlichen Veranlagung“ festgenommen und verfolgt worden. Skrupel, Täterakten als einzigen Beleg zur Entscheidung heranzuziehen, hatte die Beamten wohl nicht.
Sicherlich hatte der Stadtdirektor im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach dem Bundesentschädigungsgesetz gehandelt. Aus den Akten ist aber erkennbar, dass es von der Verwaltung keine Bemühungen gab, eine Bestätigung der Angaben von Johanna Friederich durch Befragungen weiterer Verwandte, Zeugen, ehemaligen Kollegen usw. des Paul Friederich zu erhalten, die als Argumente für die Anerkennung gesprochen hätten. Die Verwaltung hatte nicht versucht, eigenständig Sachverhalte zu ermitteln, die im Sinne des Ermordeten für seine Rehabilitierung gesprochen hätten und das Verfahren somit positiv zugunsten von Johanna Friederich hätten beeinflussen können.
Die nahezu nationalsozialistische Wortwahl von der „unnatürlichen Veranlagung“ zeigte, wie sehr die nationalsozialistische, rassistische Denk- und Handlungsweise und NS-Propaganda in der frühen Bundesrepublik immer noch ihre Wirkung entfaltete.
Und so kam es, wie es im Sinne des „demokratischen“ Gesetzgebers beabsichtigt war: Die Anträge auf Anerkennung als Verfolgter und Entschädigung für erlittenen Schaden an Leben, Freiheit und beruflichem und wirtschaftlichen Fortkommen als Folge der Verfolgung und Ermordung von Paul Friederich wurden am 20. April 1956 vom Regierungspräsident in Düsseldorf abgelehnt. Die inzwischen seit 1954 berufsunfähige ehemalige Krankenschwester Johanna Friederich wurde mit ihrem Bestreben, der Rehabilitierung ihres Bruders, vom Staat Bundesrepublik Deutschland abgewiesen.
Luise Friederich starb 1980 in Duisburg im Alter von 80 Jahren, die Schwester Johanna starb 1990, sie wurde 88 Jahre alt und starb als letztes Familienmitglied ebenfalls in Duisburg. Beide hatten bis zum Ende ihres Lebens zusammengelebt, der letzte Wohnort war „Am Steinbergshof 18“ in Duisburg. Die gesellschaftliche Rehabilitierung ihres Bruders (Der Bundestag hob erst im Jahr 2002 die Urteile aus der NS-Zeit insgesamt auf.) erlebten sie nicht.