Wir erinnern an Hermann Hussmann
Hermann Hußmann, geboren am 20. Dezember 1908 in Bochum, gestorben am 11.5.1943 in Bochum.
Hermann Hußmann, geboren am 20. Dezember 1908 in Bochum, gestorben am 11.5.1943 in Bochum.
Hermann Hußmann, geboren am 20. Dezember 1908 in Bochum, Mühlental 11, Beruf: Bergmann, katholisch. Nach Schulzeit (8 Jahre) Bergmann auf der Zeche Constantin in Bochum. Erste homosexuelle Kontakte und Erkenntnis, homosexuell zu sein mit 16 Jahren während der Weimarer Republik. Im Jahr 1931 arbeitslos, daher freiwillige Landhilfe in Ostpreußen (1 Jahr), danach wieder auf Zeche Constantin, 1938 abkommandiert zum Westwallbau, ab 1939 erneut Zeche Constantin. Verhaftung am 5. Feb. 1943 wegen des Vorwurfes homosexueller Kontakte, Polizeigefängnis, dort mehrere Verhöre an den Folgetagen, ebenso über mehrere Wochen Vernehmungen von Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen. Außerdem Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von persönlichen Dokumenten im Haus des Bruders Heinrich, wo Hermann Hußmann lebte.
Am 10. April 1943 Anklage durch den Oberstaatsanwalt Bochum gegen die beiden Beschuldigten: Bergmann Hermann Hußmann aus Bochum und den Ingenieur B. (Jg. 1917) aus Düsseldorf wegen sogenannter „Sittlichkeitsverbrechen“, d.h. wegen gleichgeschlechtlicher Kontakte nach dem von den Nationalsozialisten verschärften §175 RStGB. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigte gegen Hußmann auch die gefürchtete Sicherungsverwahrung durchsetzen (§ 42e) und durch Urteil feststellen zu lassen, dass Hußmann ein „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher (§20a)“ sei. Termin für die Gerichtsverhandlung vor dem Bochumer Landgericht wurde auf den 31. Mai 1943 festgesetzt. Untersuchungshaft für Hußmann wurde fortgesetzt.
Die Gerichtsverhandlung fand nicht statt, da sich Hermann Hußmann laut Mitteilung der Untersuchungshaftanstalt (Standort in der ABC-Straße 2) an das Bochumer Amtsgericht am 11. Mai 1943 mittels seines Hosenträgers erhängte.
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Foto Lutz Leitmann (Stadt Bochum)
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Hermann Hußmann wurde am 20. Dezember 1908 in Bochum-Riemke, Mühlental 11, geboren. Er selbst gab im Verhör durch die Bochumer Polizei am 6. Februar 1943 zu seiner Person an:
„Ich bin das zweitälteste Kind von 7 Geschwistern. Ich lebe mit meinem Bruder Heinrich im elterlichen Hause. Im ersten Obergeschoss bewohne ich zwei Zimmer. In Bochum bin ich zur Schule gegangen, und zwar habe ich die Volksschule in Hofstede bis zur 8. Klasse besucht. Nach der Schulentlassung kam ich auf die Zeche Constantin der Große, Schachtanlage II, in Bochum, wo ich noch heute beschäftigt bin. Im Jahre 1931 wurde ich erwerbslos. Ich meldete mich deshalb freiwillig zur Landhilfe und kam nach Horn Kreis Moorungen und später nach Christburg. Insgesamt war ich ein volles Jahr beim Bauer beschäftigt. Dann kam ich zur Zeche zurück und wurde 1938 für den Westwallbau abgestellt. Nach einem Jahr kam ich wieder zur Zeche zurück.“
Arbeitsplatz und Wohnort von Hermann Hußmann in Bochum:
Zeche Constantin der Große und die Bergmannssiedlung „Im Mühlental“
Norbert Meier schreibt in seinem ausführlichen Bildband (Quelle: Norbert Meier, Zeche Constantin der Große, Schwarzes Gold unter Bochum und Herne, Herausgeber Forderverein Bergbauhistorischer Stätten Ruhrrevier e.V.) über diese Zeche im Vorwort, dass dort von 1857 bis zur Schließung im Jahr im Jahr 1967 Steinkohle gefördert wurde. Hußmann gab an, dass er auf Schacht 2 arbeitete. Vom eigenen Wohnort und dem seiner Herkunftsfamilie „Im Mühlental“ war der Arbeitsplatz in fußläufiger Lage zu erreichen. Schacht 2 lag in etwa dort, wo sich heute westlich der Herner Straße die Betriebswerkstadt der städtischen Verkehrsbetriebe Bogestra befindet. Die Bergarbeitersiedlung „Im Mühlental“ gehörte zur Zeche Constantin und war die älteste Constantin-Siedlung. „Bei den Arbeiterhäusern wurde auf reichlich Nebengelass Wert gelegt. In den Hinterhöfen waren Stallgebäude vorhanden und den einzelnen Wohnungen ein Stück Gartenland zugeteilt. Zur Selbstversorgung hielten die Bergarbeiterfamilien Kleintiere wie Schweine, Ziegen, Hühner und Kaninchen und bauten auf ihren Grundstücken Gemüse an.“ (Zitat Bildband Meier, Seite 366).
Die Siedlung „Im Mühlental“ zeichnete sich dadurch aus, dass jeweils Doppelhäuser 1 ½ geschossig mit ausgebautem Dach beidseits der Straße errichtet wurden. Die Gartengrundstücke hinter den Häusern zeichnen sich bis heute durch eine für städtische Verhältnisse ungewöhnliche Größe aus. Die Siedlung ist bis heute in modernisierter Form erhalten geblieben. An einem der Doppelhäuser ist das Baujahr 1874 in einem Ornament der Außenfassade sichtbar erhalten geblieben.
Herrn Meier sei gedankt für die Übermittlung der historischen Abbildungen der Schachtanlage 2 und der Siedlung „ Im Mühlental“
Schacht 2 der Zeche Constantin 1908 (von Süden)
Zeche Constantin, Schacht 2 um 1925, Zeichnung
Bergmannssiedlung „Im Mühlental“, Foto von 1913
Über die Herkunftsfamilie und Verwandte von Hermann Hußmann konnte das Folgende erforscht werden:
Die Eltern waren der Bergmann Franz Hußmann (geb. in Bochum-Hofstede 1870, gestorben in Bochum im Jahr 1935) und dessen Ehefrau Auguste Karoline Luise Hußmann, geborene Zimmermann (geb. in Hofstede 1875, gestorben in ihrer Woh-nung Mühlental 11 in Bochum im Jahr 1936). Die Eheleute heirateten in Bochum 1894. Sie lebten in Bochum-Hofstede im Hause Mühlental 11. Die Familie war katholisch.
Hermann Hußmann teilte im Polizeiverhör mit, dass seine Eltern 7 Kinder hätten. Davon abweichend ergaben die Forschungen allerdings die Geburten von 10 Kindern. Mehrere Kinder starben im Säuglingsalter. Hermann Hußmann gab im Verhör auch an, er sei das zweitälteste der Kinder, was aber ein Irrtum von ihm oder dem Protokollanten des Polizeiverhöres war.
Kinder der Eheleute Hußmann waren:
1. Louise (Geburt 1895)
2. Maria (Geburt 1896, Tod Mülheim 1961)
3. Franz (Geburt 1898, Tod 1899)
4. Louise (Geburt 1902, Tod Dorsten 1981)
5. Paula (Geburt 1904, Tod Bochum 1938)
6. Heinrich (geboren 1906, gestorben Bochum 1960) war ebenfalls Bergmann von Beruf. Er heiratete 1935 in Bochum die Büglerin Anna Breit. Aus der Ehe ging der Sohn Karl-Heinz hervor (geb. 1941, gestorben 2008), der 1967 in Bochum heiratete.
7. Hermann
8. Franz Matthias (geboren 1911, im zweiten Weltkrieg Soldat)
9. Johann Wilhelm (geboren 1914, gestorben in Hattingen 1986) war Schlosser von Beruf, heiratete in Bochum 1938 die Verkäuferin Else Emilie Blasius (Jg. 1914). Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor (1939, 1941, 1951), von denen zwei bereits im Säuglingsalter starben. Das mittlere Kind, der Sohn Hans Jürgen Hußmann, wurde 1941 in Bochum geboren, er starb 1983 in Gerona/Spanien.
Zu seinem jüngeren Bruder Johann Wilhelm und dessen Ehefrau hatte Hermann Hußmann offensichtlich ein besonders gutes Verhältnis, denn er war bei der standesamtlichen Hochzeit am 30. Juli 1938 neben dem Vater der Braut der zweite Trauzeuge. Seine Unterschrift findet sich auf dem Heiratseintrag der Eheleute:
und das zehnte Kind der Eheleute war Clementine Emilie (geboren 1917).
Halten wir fest: Hermann Hußmann wohnte zu Beginn des Nationalsozialismus im Haus der Eltern, ebenso seine älteren Geschwister Heinrich und Paula, die 1933 geheiratet hatte. Im Jahr 1935 starb sein Vater, im Jahr 1936 starb seine Mutter. Der „Freitod“ der Mutter war wahrscheinlich für die gesamte Familie ein einschneidendes Ereignis. 1938 starb seine Schwester Paula, die ebenfalls in der Straße Mühlental lebte und zwar im Haus Nr. 3. Auch sie starb durch „Freitod“. Sie hinterließ einen Ehemann und zwei kleine Kinder. In kurzer Zeit veränderten sich also die Lebenszusammenhänge der Familie und für Hermann drastisch.
Hermann Hußmann war nicht vorbestraft. Bis zu seiner Verhaftung wegen des Vorwurfes homosexueller Kontakte war er ein unbescholtener Bergmann. Er gab im Polizeiverhör vom 6. Feb. 1943 an, das Westwallabzeichen erhalten zu haben, weder der NSDAP noch der SS anzugehören. Er war Mitglied der DAF, einer Organisation, die von den Nationalsozialisten nach Zerschlagung der freien Gewerkschaften gegründet worden war mit dem Ziel der Eingliederung der Arbeiter in das nationalsozialistische Macht- und Kontrollsystem. Ansonsten gehörte er keiner Parteigliederung der Nazipartei an.
Die Nationalsozialisten, seit 1933 an der Macht, haben ihr rassistisches und menschenverachtendes Weltbild in sogenannte „Gesetze“ gegossen: U.a. verschärfen sie mit Wirkung vom 1. Sept. 1935 den noch aus der Kaiserzeit stammenden § 175, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellt. Sie erweitern und verschärfen Tatbestände und konstruieren und führen neue ein (so kann bereits Küssen oder wollüstige Blicke und Kontaktaufnahme zu Ermittlungen und Bestrafung führen, ebenso wird erstmals mann-männliche Prostitution strafrechtlich verfolgt), sie vergrößern den Strafrahmen des § 175 von Gefängnis auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren. Sie bespitzeln Treffpunkte von Homosexuellen, führen Razzien durch, legen Listen von namentlich bekannten Homosexuellen an, üben Zensur aus und verbieten Zeitschriften und zerschlagen Vereine. Zudem erzeugt auch die öffentliche Hetze in der gleichgeschalteten Presse und den NS-Propaganda-Medien („Röhm-Putsch“) gegen homosexuelle Männer ein gesellschaftliches Klima der Angst und Einschüchterung. Die Nationalsozialisten nutzen und vertrauen auf und vertiefen die in der Bevölkerung vorhandenen Vorurteile gegenüber Homosexuellen und stempeln sie zu sogenannten „Volksfeinden“. Denunzierungen sind Teil dieses Szenarios, Denunzianten fühlen sich sicher. Ebenso wird der §175 als Werkzeug zur Verfolgung von katholischen Geistlichen eingesetzt. Die zum Teil „unbequeme“ katholische Kirche soll so in Misskredit gebracht werden. Zur systematischen Verfolgung wird bereits 1934 ein Sonderdezernat Homosexualität bei der Gestapo geschaffen, verschärfend wird im Jahr 1936 eigens die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ installiert. Die Zucht von „arischen“ Menschen ist das Ziel. Personen, die nicht zur konsequenten Bevölkerungsvermehrung beitragen, sollen „ausgemerzt“ werden. Mit dem 15. Sept. 1935 wird auch die Spirale der Verfolgung von jüdischen Bürgern durch die erlassenen Nürnberger Rassegesetze weitergedreht.
Aus den überlieferten Schriftstücken der Staatsanwaltschaft Bochum, die im Landesarchiv Münster aufbewahrt werden, geht die Abfolge der NS-staatlichen Verfolgung des Hermann Hußmann hervor:
Am 2. Februar 1943 wurde der 21jährige, in Wanne-Eickel geborene Friedrich Pula von der Bochumer Polizei verhaftet wegen des Vorwurfs, „Unzucht“ mit Männern getrieben zu haben. Im Laufe der Polizeiverhöre fiel der Name „Hermann Hußmann“. Dieser wurde daraufhin ebenfalls verhaftet und zwar am 5. Februar 1943 ebenfalls durch die Bochumer Polizei.
(Anmerkung: Friedrich Pula überlebte die Verfolgung und die NS-Zeit, er starb 1980 in Herne.)
Am 6. Februar 1943 erfolgte das erste Verhör von Hußmann durch den Bochumer Kriminalsekretär Müller. Hermann Hußmann teilte auch mit:
„In meiner Jugendzeit hatte ich einen Freund, Franz Manna, der in meiner Gegend wohnte. Wir waren aus der Schule gekommen und zusammen zur Zeche gekommen. Mit diesem habe ich verschiedentlich gemeinsam onaniert. Mit meinem 17. Lebensjahr verschwand dieser aus meinem Gesichtskreis und heiratete später. Im vorigen Jahr ist er tödlich auf der Zeche Erin in Rauxel verunglückt. Nun war in mir damals das sexuelle Leben wach geworden.“
Halten wir fest: Damals wie heute entdecken Pubertierende ihre Lust am Ausprobieren – nicht nur in sexueller Hinsicht. Viele Jugendliche machen gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen, für einige klären sich ihre gleichgeschlechtlichen Gefühle und dauerhaften Liebesbedürfnisse zum gleichen Geschlecht, für andere ist und bleibt es ein Ausprobieren – und mehr nicht.
Hermann Hußmann sagte auch:
Er gab an, dass er seit seiner Jugendzeit sexuelle Erfahrungen mit (männlichen) Gleichaltrigen gemacht habe. Als Erwachsener habe er sich weiter umgeschaut, wo er Kontakte zu Männern finden konnte und sei eines Tages am Bochumer Rathaus darauf aufmerksam geworden, dass sich dort Männer trafen. Diese Möglichkeit habe er wiederholt genutzt, um andere homosexuelle Männer kennenzulernen.
Er habe niemals in anderen Städten Kontakte gesucht, sondern immer in Bochum – und diese auch dort gefunden. Diese Kontakte seien freiwillig passiert, keiner seiner Partner habe je Geld verlangt oder von ihm bekommen.
Allerdings schilderte Hußmann auch einen Vorfall vom Jahreswechsel 1942/1943. Nach einer Kontaktaufnahme zu einem anderen Mann, einem Soldaten, wurde er von diesem Soldaten erpresst. Zunächst war ein Kneipenbesuch vorausgegangen, danach verabredeten sich beide, um sich auf dem Kirchplatz an der Ecke Humboldtstr./Kirchstraße gegenseitig zu befriedigen. (Heute heißt diese Straße „Kerkwege“, der genannte Kirchplatz hieß damals wie er heute heißt, nämlich Marienplatz. Er liegt an der Humboldtstraße; und zwar dort, wo die ehemalige Marienkirche in das heutige Musikforum integriert wurde.) Wozu es aber nicht kam, da der Soldat plötzlich Geld forderte und andernfalls mit Anzeige drohte. Er, Hußmann, habe dem Soldaten dann 30 Reichsmark gegeben und aus Angst habe er keine Anzeige erstattet.
Am Ende des ersten Verhöres hatte sich Hußmann – zu diesem Zeitpunkt ohne rechtlichen Beistand – selbst schwer belastet und bereits „um Kopf und Kragen geredet“. Allerdings nannte er keine Namen von anderen Männern, sondern erinnerte sich nicht oder kannte nur Spitznamen, gab auch keine Personenbeschreibung des Soldaten ab.
Er stimmte noch im Verhör, angeblich freiwillig, einer Wohnungsdurchsuchung und Durchsicht seiner Schriftstücke zu.
Diese Wohnungsdurchsuchung fand noch am selben Tag im Hause Mühlental 11 in Bochum-Riemke statt, wo Hermann Hußmann im Hause der verstorbenen Eltern bei seinem Bruder Heinrich wohnte. Dieser Bruder war bei der Durchsuchung anwesend.
Es wurden von der Polizei zahlreiche Briefe, Postkarten und Fotos sichergestellt sowie ein Kästchen mit zwei Anstecknadeln sowjetischer Herkunft.
Das schnelle Vorgehen der Polizei belegt, welch hoher Verfolgungsdruck aufgebaut wurde – sicherlich erhoffte sich die Polizei, belastende Dinge gegen Hußmann in dessen Wohnung zu finden und möglicherweise auch Namen und Anschriften anderer Männer ermitteln zu können, um gegen diese Männer dann ebenfalls als Verdächtige vorgehen zu können.
Der Ablauf zeigt aber auch: Für Homosexuelle gab es nahezu keine Möglichkeiten, sich mit anderen Homosexuellen zu treffen. Sozialkontakte oder gar Liebebeziehungen einzugehen oder zu pflegen, war hochgefährlich und (zum eigenen Schutz) nahezu unmöglich. Im Jahr 1943, 10 Jahre nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, waren Homosexuelle isoliert, ausgegrenzt, viele in Gefängnisse oder Zuchthäusern eingesperrt oder in Konzentrationslager verschleppt worden. Wenn Sie es dennoch wagten, Kontakte zu knüpfen, bestand jederzeit die Gefahr, Opfer von Erpressung oder Schlimmerem zu werden, wie es das Polizeiprotokoll im Falle Hußmann und des Soldaten eindrücklich belegt.
Am 8. Februar 1943, also bereits zwei Tage nach erstem Verhör und der Hausdurchsuchung im Mühlental 11, wurde Hußmann aus dem Polizeigefängnis in der Uhlandstraße dem Kriminalsekretär Müller erneut vorgeführt und verhört.
Welcher Druck in diesen zwei Tagen im Bochumer Polizeigefängnis auf Hußmann wirkte oder ausgeübt wurde, ist heute nicht mehr festzustellen. Aus anderen Schilderungen ist bekannt, dass verbale Gewalt, Beleidigung, Bedrohung, Falschinformation über angebliche Geständnisse anderer Beschuldigter, körperliche Gewalt und Folter Teil der Instrumente waren, die Polizei und Gestapo benutzen, um zu umfangreichen Aussagen und Geständnissen zu gelangen. Die Formulierung „Nochmals ernstlich zur Wahrheit ermahnt“ benutzte der Polizeisekretär im Vernehmungsprotokoll vom 8. Februar 1943, um den wahren Ablauf zu verschleiern. Der aufgebaute Verhördruck hatte den von der Polizei beabsichtigten Erfolg, denn die Änderung im Aussageverhalten von Hußmann wurde dokumentiert: Er musste sich zu den zahlreichen bei ihm beschlagnahmten Briefen, Postkarten und Fotografien äußern, die Namen von Freunden und Bekannten aus Recklinghausen, Mülheim, Bochum, Düsseldorf und Köln fanden sich in den beschlagnahmten Schriftstücken.
Eine 10jährige Freundschaft mit einem in Düsseldorf lebenden Ingenieur B. (Jahrgang 1917) gab er zu. Dieser hatte zum Zeitpunkt des Kennenlernens (ca. 1933) in Bochum gelebt und gearbeitet. Ein Foto dieses Mannes und ein Brief, der bei der Hausdurchsuchung gefunden worden waren, ließen ein Verleugnen nicht zu. Hermann Hußmann unterschrieb dann ein Protokoll, in dem vermerkt war, dass es mit diesem Freund B. auch wiederholt sexuelle Kontakte gegeben und dass der letzte Kontakt im Juni 1942 stattgefunden hatte. Gleichzeitig versuchte er, den Freund B. zu schützen, indem er auch unterschrieb:
„Der treibende Teil bei den unsittlichen Handlungen bin immer ich gewesen. Ich weiß, dass B. seit Pfingsten 1941 verlobt ist und war er nie recht mit meinen Handlungen einverstanden.“
Außerdem äußerte er sich zu den Abzeichen: „Über die bei mir vorgefundenen zwei Plaketten möchte ich sagen, dass diese mein Bruder Franz aus dem Felde mitgebracht hat. Es sind dies Erinnerungsstücke an Russland.“
Damit schloss das Polizei-Protokoll. Ob Hußmann die Tragweite seiner Aussagen einschätzen konnte, kann bezweifelt werden. Das Protokoll der Polizei dokumentiert nicht, dass Hußmann belehrt wurde über seine Rechte, die Aussage verweigern zu können, um sich nicht selbst zu belasten. Einen Rechtsbeistand jedenfalls, der ihn hätte beraten und unterstützen können, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Erst am 22. März 1943 teilte der Rechtsanwalt Rudolf Abel aus Bochum mit, dass er durch Vollmacht zum Verteidiger des Beschuldigten Hußmann bestellt sei.
Am 8. Februar 1943 wurde Hußmann dem Bochumer Amtsgericht zugeführt zwecks Erlass eines Haftbefehls, weil ein Verbrechen nach § 175a vorläge und weil außerdem Fortsetzungs- und Verdunkelungsgefahr bestünde.
Am 9. Februar 1943 um 11.20 Uhr wurde der erteilte Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum umgesetzt und Hußmann vom Polizeigefängnis in die Bochumer Untersuchungshaftanstalt in der ABC-Straße gebracht und dort inhaftiert. Begründung: Unzucht mit Männern.
Einlieferung von Hermann Hußmann in die Untersuchungshaft am 9. Feb. 1943,
Quelle: Landesarchiv Westfalen, Münster, Staatsanwaltschaft Bochum, Nr. 4635
Bereits am 10. Februar 1943 verhörte Kriminalsekretär Müller in Bochum einen von mehreren Bekannten von Hußmann, Heinrich Starostik, der unmittelbar in der Nachbarschaft wohnte. Dessen Name war in einem der beschlagnahmten Schriftstücke genannt worden. Hußmann und Starostik kannten sich seit Kindertagen, da sie zusammen aufgewachsen waren, in derselben Straße lebten und auf derselben Zeche arbeiteten, Hußmann als Bergmann, Starostik im Verwaltungsdienst der Zeche. Starostik (Jg. 1910) bestritt gleichgeschlechtliche Kontakte zu Hußmann oder anderen, sagte aber Folgendes aus:
„Ich bin durch Hußmann allerdings mit Männern in Berührung gekommen, die nach meiner Meinung nach homosexuell veranlagt waren. Es ist aber nie dazugekommen, dass ich mit diesen gleichgeschlechtliche Handlungen ausgeführt habe. (…) Nochmals kann ich erklären, daß ich hier in falschen Verdacht gekommen bin, weil ich eben mit diesen Leuten bekannt geworden bin. Mir wird niemand nachweisen können, daß ich mit einem Mann Unzucht getrieben hätte.“
Der Vernommene Starostik wusste sich also besser zu schützen, belastete sich nicht selbst, aber wiederum Hußmann, der ja in „homosexuellen Kreisen verkehre“.
(Anmerkung: Heinrich Starostik überlebte die NS-Zeit und starb 1980 in München)
Kriminalkommissar Müller setzte am 26. Februar 1943 seine Vernehmungen fort. Er vernahm erneut den im Bochumer Untersuchungsgefängnis einsitzenden Friedrich Pula, der ja am Beginn der gesamten Verfolgungskette stand.
Pula bestritt, mit Hußmann ein homosexuelles Verhältnis zu haben, belastete aber Hußmann und nannte ein Lokal in Essen (das Cafe Schmitz), wo er ihn kennengelernt habe. Auch bei Pula war zuvor eine Hausdurchsuchung erfolgt, auch er wurde mit den in Schriftstücken gefundenen Namen konfrontiert und dazu ausführlich vernommen und musste die bestehenden Verhältnisse erklären.
Akribisch verfolgte (mit Vermerk vom 27.2.1943) Kriminalsekretär Müller weitere Hinweise zu Personen, deren Namen er aus den beschlagnahmten Schriftstücken des Hermann Hußmann ermittelt hatte. Einen Bochumer mit Namen Hermann Moritz (Jahrgang 1911) konnte er nicht vernehmen, da dieser beim Militär war. Er ermittelte aber die Militäranschrift. Ob es zu einer Vernehmung kam, ist der Akte nicht zu entnehmen.
Am 18. März 1943 erfolgte dann in Düsseldorf durch den Kriminalsekretär Knechts die Vernehmung des B. B. war nicht vorbestraft, er gab an, Schweizer zu sein, geboren in Calenberg bei Warburg, Sohn des Molkereibesitzers B. (Wohnort unbekannt, verschollen) und der Thekla S., geschiedene B., geborene J. (wohnhaft in Bochum). B. wurde mit den Aussagen des Hermann Hußmann konfrontiert, stritt aber entschieden ab, homosexuell zu sein. Er gab jedoch gleichzeitig an, mit Hußmann seit seinem 16. Lebensjahr ein sexuelles Verhältnis gehabt zu haben, dass noch „bis vor etwa 6 Wochen“ in Bochum fortgesetzt worden sei. Durch das Gesagte belastete er sich und Hermann Hußmann auf das Schwerste, unterschrieb dann am 20. März 1943 ein Protokoll, das mit den Worten endete:
„Ich bin nicht homosexuell und verspreche, mich niemals mehr mit solchen Sachen zu befassen.“
Am 10. April 1943 erfolgte durch den Oberstaatsanwalt in Bochum die Anklage gegen den Bergmann Hermann Hußmann und den Ingenieur B. wegen Sittlichkeitsverbrechen und Vergehen nach §§ 175 a Ziffer 3, 175, 74, 73 und 20a sowie 42e StGB.
Am 18. Mai 1943 ersuchte der Oberstaatsanwalt die Bochumer Untersuchungshaftanstalt, den Angeklagten Hermann Hußmann zum Termin am 31. Mai 1943 vor der Strafkammer des Landgerichts in Bochum, Diekampstr. 11 um 9 ¼ Uhr vorzuführen.
Die Ladung vom 18. Mai 1943 zum Gerichtstermin wegen Sittlichkeitsverbrechen konnte Hermann Hußmann in der Untersuchungshaftanstalt nicht zugestellt werden. Am 20. Mai 1943 schrieb der Gerichtsvollzieher Sch. aus der Untersuchungshaftanstalt zurück:
„dem Herrn Oberstaatsanwalt in Bochum zu 3 KLs 12-43 unerledigt zurückgesandt. Wie bereits am 12.5.1943 zu dem hier bekannten Aktenzeichen 12 Gs 55-43 des Amtsgerichts in Bochum schriftlich mitgeteilt wurde, ist Hermann Hußmann am 11. Mai 1943, 23,30 Uhr in der hiesigen Anstalt verstorben.“
Die o.g. Mitteilung der Untersuchungshaftanstalt in der ABC-Straße 2, Bochum, stammte tatsächlich aber erst vom 13. Mai 1943. Sie lautet:
Mitteilung der Untersuchungshaftanstalt in der ABC-Straße an das Amtsgericht Bochum über den Tod von Hermann Hußmann, Quelle: Landesarchiv Westfalen, Münster, Staatsanwaltschaft Bochum, Nr. 4635
Aus einem späteren Blatt der Akte mit Datum vom 9.8.1943 geht noch hervor, dass die Verfolgung, d.h. das Strafverfahren gegen B. fortgesetzt wurde, jedoch nicht in Bochum. Der Gerichts-SS-Führer schrieb dazu:
„An den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Bochum: Es wird mitgeteilt, dass das Strafverfahren gegen den SS-Freiwilligen B. hier anhängig ist und die Strafakte zwecks Aburteilung dem SS- und Polizeigericht XI in Stuttgart vorgelegt wurde.“
Die Akte der Bochumer Staatsanwaltschaft beim Bochumer Landgericht zu Hußmann wurde geschlossen.
Wie ging es weiter für den damaligen Freund von Hermann Hußmann, den Ingenieur und SS-Freiwilligen B., nachdem das Verfahren gegen Hußmann nach dessen Tod eingestellt worden war?
Die weiteren Recherchen ergaben:
B., der langjährige Freund von Hermann Hußmann, überlebte die Verfolgung als Homosexueller durch die Nationalsozialisten – möglicherweise bedingt auch durch den Tod von Hußmann, der ja, wie aus den Akten ersichtlich, zum Haupt“täter“ abgestempelt worden war.
In den überlieferten staatsanwaltschaftlichen Akten zu Hußmann finden sich nur wenige Hinweise zu B.
Das Strafverfahren gegen B. wurde lt. Mitteilung vom 9.8.1943 dem SS- und Polizeigericht XI in Stuttgart vorgelegt zwecks Aburteilung. Es findet sich auch der Vermerk, dass B. „durch Militärgericht abgeurteilt“ wurde. Offensichtlich kam es zu keiner strafrechtlichen Verurteilung, denn die überlieferten Akten aus dem damaligen Bestand des Rasse- und Siedlungshauptamtes SS belegen, dass B. ein Verlobungs- und Heiratsgesuch stellte und nach jenen Dokumenten am 11.1.1944 in Bochum eine Ehe einging. Er war zu jener Zeit SS-Oberschütze und befand sich seit dem 8.6.1943 bei der Waffen-SS. Anfang 1944 war er in Salzburg bei einer SS-Gebirgs-Jäger-Einheit stationiert. Spätere Angaben fehlen.
Warum er nicht verurteilt wurde als Mann, der über viele Jahre lt. eigener Einlassung gleichgeschlechtliche Sexualkontakte hatte, ist nicht überliefert. Faktum bleibt, das Homosexuelle, die in der nationalsozialistischen SS oder Waffen-SS Mitglied waren, mit rigorosen Strafen bis hin zur Todesstrafe verfolgt wurden.
B. (Jahrgang 1917) heiratete lt. Bochumer Urkunde erstmals jedoch erst am 2. Februar 1944 in Bochum und nicht, wie in den SS-Akten vermerkt am 11. Januar 1944, und zwar die in Bochum geborene und wohnende Friseurmeisterin Margarete B. (Jahrgang 1920). Die SS hatte demnach die beantragte Zustimmung zu dieser Eheschließung erteilt. (Der sog. „Arier-Nachweis“ galt als Voraussetzung. Mitglied der SS zu werden, war demnach bei B. geprüft worden.) Es ist davon auszugehen, dass auch seine zukünftige Ehefrau einen „Arier-Nachweis“ erbrachte, ohne den eine Heirat nach den Rasse-Gesetzen der Nationalsozialisten nicht möglich war. Die Heiratsurkunde bezeichnet B. als SS-Oberschützen und enthält für beide Eheleute den Eintrag „deutschblütig“. Die Tatsache, dass B. nach eigenen Angaben Schweizer Staatsbürger war, war offensichtlich kein Hinderungsgrund für die Eheschließung und stand dem sog. „Arier-Nachweis“ nicht im Wege.
Bereits 5 Monate nach der Heirat, im Juli 1944, wurde der Sohn G. in Danzig geboren. B. zog zu einem heute unbekannten Zeitpunkt von Düsseldorf nach Bochum. Diese erste Ehe dauerte ca. 22 Jahre und wurde im März 1967 in Bochum geschieden. Bereits im November 1967 heiratete er in Bochum in zweiter Ehe die Verkäuferin Anneliese K. (Jg. 1924). Auch die zweite Ehe, die etwas mehr als 2 Jahre dauerte, wurde in Bochum geschieden und zwar im Januar 1970. B. heiratete im April 1970 in Bochum in seiner dritten Ehe, die drei Jahre dauerte, die kaufmännische Angestellte D. (Jg. 1938). Auch diese dritte Ehe wurde in Bochum geschieden und zwar im März 1977. Es folgte im Juli 1977 in Bochum die vierte und letzte Eheschließung des B., der inzwischen in seinem 60. Lebensjahr war. Er heiratete Hedwig R. (Jg. 1936). Die vierte Ehefrau überlebte ihren Ehemann. B. starb im Jahr 1993 im Alter von 76 Jahren.
Kinder aus den Ehen 2 bis 4 sind nicht ermittelt worden. Ob der einzige bekannte Sohn aus der ersten Ehe von B. noch lebt, wurde nicht ermittelt.
Bewertung:
Es ist und war davon auszugehen war, dass Hußmann als Homosexueller nicht nur nach §175a verurteilt worden wäre. Bei dem §175a handelte es sich um die von den Nationalsozialisten geschaffene Verschärfung des §175, die 1935 erfolgte. Diese Verschärfung „perfektionierte“ die Verfolgung juristisch. (Ausweitung der Straftatbestände bis hin zu wollüstigen Blicken. So musste für eine Verurteilung eine Berührung nicht einmal stattgefunden haben. Verfolgung ebenso bei Verstoß gegen das sog. „Gesunde Volksempfinden“; Erhöhung des Strafmaßes von Gefängnis auf bis zu 10 Jahre Zuchthaus,). In Folge der drastischen Verschärfungen stiegen die Verfolgungs- und Verurteilungszahlen in Deutschland von 1935 bis 1945 enorm an. Hußmann wäre wahrscheinlich auch als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher (also nach §20a laut der Anklageschrift der Bochumer Staatsanwaltschaft) verurteilt worden und die gefürchtete Sicherungsverwahrung (§42e) wäre erfolgt. Dies hätte eine unbefristete Zuchthausstrafe bedeutet. Während der Kriegszeit ab 1939 sollten „Sicherungsverwahrte“ allerdings nicht mehr entlassen werden – ohne dass die Betroffenen davon in Kenntnis gesetzt wurden. Das Reichsjustizministerium ordnete 1942 die Überstellung der „Sicherungsverwahrten“ an die Polizei an. Sie wurden dann den Konzentrationslagern zugeführt.
Außerdem hatte bereits am 12. Juli 1940 der Chef der deutschen Polizei, SS-Reichsführer Heinrich Himmler, pauschal verfügt: „Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“
Dieser Befehl hatte zur Folge, dass Männer nach(!) vollständiger Strafverbüßung in Gefängnis o. Zuchthaus nicht entlassen wurden, sondern in ein KZ deportiert wurden, wo sie als „Vorbeugehäftlinge“ meist zu Tode geschunden wurden.
Es ist ebenso anzunehmen, dass Hußmann wusste oder zumindest erahnte, welche Torturen ihm bevorstanden. Er hielt dem Druck nicht stand, den der NS-Verfolgungsapparat auf ihn ausgeübt hatte. Die „Flucht in den Tod“ war sein einziger Ausweg. Der sich möglicherweise aufdrängende Verdacht, dem „Freitod“ könnte ja auch (von wem auch immer) „nachgeholfen“ worden sein, kann hier zwar nicht eindeutig belegt oder widerlegt werden; es ist aber nicht anzunehmen, dass die Justizbeamten oder andere dem schon vorverurteilten „Täter“ das weitere Leiden und die systemüblichen Torturen ersparen wollten. Die Verurteilung stand ja bereits bei Anklageerhebung mit höchster Wahrscheinlichkeit fest. Dies und die Vorstellung seiner Qual vor dem Selbstmord geben der Sache noch zusätzliche Tragik.
Sind auch die Lebenswege des Bochumer Bergmanns Hermann Hußmann und des ehemaligen Bochumer Oberbürgermeisters Dr. Otto Ruer kaum vergleichbar, so ähneln sich doch die letzten Entwicklungen ihres Lebens: Bei beiden Bochumern war die gesellschaftliche, berufliche und psychische Vernichtung durch den NS-Staat vorausgegangen, bevor sich die Genannten das Leben nahmen. Dr. Ruer als Oberbürgermeister mit jüdischen Wurzeln und Hermann Hußmann als Homosexueller: Beide wurden Opfer der rassistischen Ideologie des NS-Systems, beide entzogen sich durch „Freitod“ der drohenden physischen Vernichtung im KZ.
An Dr. Otto Ruer erinnern heute zahlreiche Schriften, Gedenkorte, Fotos usw., ebenso ein Stolperstein auf dem Rathausvorplatz. Spuren hinterliess Hermann Hußmann bisher nur in der aufgefundenen Akte aus der NS-Zeit.
Das soll sich ändern.
Denn Hußmanns Schicksal berührt nicht nur durch seinen „Frei“tod. Es steht auch exemplarisch für die zahlreichen Männer, die in der NS-Zeit als Homosexuelle verfolgt wurden. Viele sind heute namentlich nicht mehr bekannt, einige sind jedoch erinnerbar. So starben der Bochumer Bergmann Hans Anzel 1943 im KZ Sachsenhausen, der Bochumer Bergmann Alfred Schneider starb in demselben KZ 1941, der Gelsenkirchener Bergmann Arthur Herrmann starb 1940 im KZ Buchenwald. Der Bergmannssohn Friedrich Wessel aus Wattenscheid wurde im KZ Buchenwald angeblich „auf der Flucht erschossen“, der Bergmannssohn Willi Güte aus Bochum-Werne überlebte sowohl eine mehrjährige Haft und Zwangsarbeit in einem Moorlager als auch die anschließende Deportation in das KZ Buchenwald als auch das KZ Dora bei Nordhausen in Thüringen als auch den Todesmarsch bei Räumung des Lagers Dora als auch den Untergang der Cap Arkona in der Ostsee im Mai 1945. Der Bochumer Buchhalter Gerhard Krebs wurde 1936 angeklagt wegen eines mehrjährigen Verhältnisses mit dem Bochumer Kaufmann Heinrich Barenberg. Krebs wurde verurteilt, er nahm sich 1939 im Bochumer Gefängnis Krümmede (wahrscheinlich) selbst das Leben. Wahrscheinlich war ihm mitgeteilt worden, dass er am Strafende nicht entlassen würde, sondern in Vorbeugehaft genommen und in ein KZ gebracht würde. In seiner Sterbeurkunde ist der Vermerk eingetragen: „Selbstmord durch Erhängen.“ Gerhard Krebs wurde nur 31 Jahre alt.
Hermann Hußmann wurde nur 34 Jahre alt.
Hermann Hußmann war einer von mehreren Tausend Männern, die während der NS-Zeit wegen Homosexualität verfolgt wurden. Verhöre, Folterungen, Kastrationen („freiwillig“), Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch ein „Outing“ im Zusammenhang mit der juristischen Verfolgung überlebten viele nicht. Diejenigen Homosexuellen, die die NS-Zeit überlebten, sei es im KZ oder anderswo, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt. Der Strafrechtsparagraph 175 bestand in Westdeutschland in der verschärften Nazifassung bis 1969 (!). Trotz heftigster Attacken von Seiten der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister der BRD und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des Paragraphen ein. Nichtsdestotrotz wurden bis heute Anträge von Homosexuellen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, das die Adenauer-Regierung zu verantworten hatte, immer abgelehnt, denn sie galten nach damaliger Anschauung als „rechtmäßig“ verurteilte Straftäter. Das vorurteilsbehaftete Gedanken“gut“ der Kaiserzeit und die rassistischen Einstellungen, Vorurteile und Handlungen der Nationalsozialisten in Bezug auf das Thema Homosexualität wurden in der BRD zur Handlungsgrundlage gegenüber Homosexuellen. In Westdeutschland gab es bis 1969 jegliche Art der Verfolgung, die es bereits im Nationalsozialismus gegeben hatte – außer Konzentrationslagerdeportierungen.
Erst seit 1994 – als Folge der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung -und aufgrund des Engagements der Schwulen- und Lesbenbewegung werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der Paragraph 175 wurde gestrichen. Im Jahr 2002 hob der Bundestag die Urteile auf, die während der NS-Zeit mittels des §175/175a gefällt wurden. Erst im Sommer 2017 wurden diejenigen Urteile aufgehoben, die zwischen 1945 und 1969 nach den Paragraphen 175/175a in der Nazifassung gefällt worden waren und diejenigen Urteile, die nach der Strafrechtsreform zwischen 1969 und 1994 gefällt worden waren. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Aufhebung der Urteile kam und kommt für die meisten Betroffenen, die inzwischen verstarben, und für deren Angehörige, Familien und Freunde (zu) spät. Erst in Sommer 2018 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Fehler des Staates anerkannt und sich entschuldigt.
Am einzigen dauerhaften und letzten Wohnort in Bochum, Mühlental 11, der auch gleichzeitig der Geburtsort von Hermann Hußmann ist, war ursprünglich eine Stolpersteinverlegung im November 2019 zur Würdigung von und Erinnerung an Hermann Hußmann geplant. Der Stolperstein sollte durch den Künstler und Schöpfer der Stolpersteine, Gunter Demnig persönlich vor dem Haus Nr. 11 verlegt werden. Da die Straße Mühlental insgesamt einschließlich der Gehwege vor den Häusern in Privatbesitz ist, (was einer Verlegung im Wege stand), wurde der Stolperstein nunmehr an der Einmündung von Mühlental in die Grummer Straße verlegt und zwar am 29. Juni 2020. In Bochum ist es der zwölfte Stolperstein, der an einen Mann erinnert, der als Homosexueller verfolgt wurde. Weitere Lebenswege von Homosexuellen werden erforscht, weitere Stolpersteine zur Würdigung von Homosexuellen sind in Vorbereitung.
Initiative zur Straßenbenennung und zum Stolperstein, ebenso Forschung/Recherchen und Bericht zum Leben von Hermann Hußmann stammen von Jürgen Wenke, Diplom-Psychologe, Bochum. Weitere Stolpersteine in Bochum (11), Dortmund (1), Düsseldorf (1), Duisburg (5), Essen (1), Gelsenkirchen (4), Hattingen (1), Jena (1), Krefeld (2), Kreuztal-Kredenbach/Kreis Siegen (1), Remscheid (3), Solingen (1), Trier (3), Velbert (1), Witten (2) und Wuppertal (2) zur Erinnerung an verfolgte Homosexuelle sind bereits verlegt worden, weitere Stolpersteine werden folgen. Die Patenschaft für den Stolperstein zur Erinnerung an Hermann Hußmann hat Herr Dr. Frithjof Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Deutschen Bundestages, übernommen. Gedankt sei Herrn Schmidt als Paten, ebenso dem Stadtarchiv Bochum, dem Einwohneramt und dem Amt für Geoinformation, Liegenschaften und Kataster der Stadt Bochum , dem Landesarchiv Westfalen in Münster sowie zahlreichen weiteren Archiven in Deutschland, ebenso Personen und Institutionen, die die Forschung unterstützt haben.
Durch die Forschungen konnte der Kontakt zu einer lebenden Familienangehörigen (Jg. 1946) aus der Familie Hußmann hergestellt werden. Sie begrüßte ausdrücklich das Gedenken an Hermann Hußmann durch die Straßenbenennung und den Stolperstein.
Die Stadt Bochum hat durch die Bezirksvertretung Bochum-Mitte am 5. September 2019 beschlossen, zur Würdigung von Hermann Hußmann und zur Erinnerung an die Verfolgung von homosexuellen Männern im Nationalsozialismus eine neu erschlossene Straße zu benennen: die Hermann-Hußmann-Straße. Das Datum der offiziellen “Einweihungsfeier” und der Enthüllung des Straßenschildes ist der 20. Dezember 2019 um 12 Uhr, der Ort ist die Straßeneinmündung zur Moritz-Fiege-Straße.
Die neue Hermann-Hußmann-Straße befindet sich am nordöstlichen Rand der Bochumer Innenstadt auf der Rückseite des Standortes der ehemaligen Schule „Gymnasium am Ostring“, an dessen Stelle nunmehr das neu errichtete Bochumer Justizzentrum seinen Platz hat. Die neu geschaffene Hermann-Hußmann-Straße stellt die Verbindung her zwischen der Moritz-Fiege-Straße (Moritz Fiege: Gründer der gleichnamigen Bochumer Brauerei) und der Josef-Neuberger-Straße (Josef Neuberger: ehemaliger Justizminister des Landes NRW, wurde von den Nationalsozialisten wg. seiner jüdischen Herkunft verfolgt).
Die Bochumer Straßenbenennung nach einem verfolgten schwulen Mann ist vorbildlich: Die Stadt Bochum ist nach der Stadt Dortmund nunmehr die zweite Kommune in Deutschland, die sich mittels einer Straßenbenennung dauerhaft und öffentlich gegen das Vergessen der Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit wendet und die Erinnerung an die Opfer sichtbar bewahrt.