Wir erinnern an Heinrich Weidinger
Heinrich Weidinger: geboren am 9.5.1890 in Windischgarsten/Österreich, Ermordet am 27. Januar 1944 im KZ Buchenwald
Heinrich Weidinger: geboren am 9.5.1890 in Windischgarsten/Österreich, Ermordet am 27. Januar 1944 im KZ Buchenwald
Heinrich Weidinger, geboren am 9.5.1890 in Windischgarsten/Österreich, katholisch, Vermessungsingenieur, letzter freiwilliger Wohnort in Jena/Thüringen im Hotel „Weimarischer Hof“. Am 12.6.1939 von der Polizei Dachau verhaftet wegen homosexueller Kontakte; 2 Verurteilungen nach §175 zu insgesamt 3 Jahren und 5 Monaten Gefängnis, am Ende der Verbüßung der zweiten Haftstrafe wurde sog. „Schutzhaft“ angeordnet und am 18.3.1943 erfolgte Verhaftung in Jena durch die Polizei Weimar. Dann deportiert: zunächst in das KZ Dachau bei München; ab 12.11.1943 in das KZ Buchenwald bei Weimar. Als sog. „Berufsverbrecher“ und Homosexueller stigmatisiert. Fluchtversuch. Ermordet am 27. Januar 1944, angebliche Todesursache „Herzschwäche bei Magen- und Darmkatarrh“.
Heinrich Weidinger kam am 9. Mai 1890 in der kleinen Alpen-Gemeinde Windischgarsten in Österreich (Bundesland Oberösterreich) zur Welt. Im dortigen Taufbuch wurde er als uneheliches Kind von Theresia Weidinger (geb. 1865 in Windischgarsten) verzeichnet. Dort wurde notiert, dass Maria Weidinger, (geb. 1870), seine Tante, die Schwester von Theresia Weidinger, seine Taufpatin wurde.
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Maria Weidinger brachte am 24. Juni 1891 ebenfalls nicht ehelich einen Sohn zur Welt, der auf den Namen Johann Baptist Weidinger getauft wurde. Dessen Taufpatin war Theresia Weidinger, zu diesem Zeitpunkt ledige Dienstmagd in Linz, die Tante von Johann Baptist Weidinger. Aus der Tatsache, dass die Schwestern sich gegenseitig zu Patinnen ihrer Söhne machten, kann auf ein gutes Verhältnis der Schwestern zueinander geschlossen werden.
Die Herkunftsfamilie von Heinrich Weidinger lässt sich ohne weiteres über mehrere Generationen zurückverfolgen bis zu den Urgroßeltern. Urgroßvater Josef Weidinger, der Besitzer eines „Jungwirtgasthauses“ war, und dessen Ehefrau Katharina wurden im Jahr 1819 Eltern des Sohnes Peter (Petrus) Weidinger in Wartberg an der Krems. Peter Weidinger (1819-1883) wurde wie sein Vater Josef Gastwirt (in Zeitschen bei Windischgarsten) und war Hausbesitzer. Im Jahr 1860 heirateten Peter (Petrus) Weidinger (41 Jahre) und Anna Schmeißl (25 Jahre) in Windischgarsten. Aus der Ehe gingen die Kinder Franz (1861), Karl (1862), Theresia (1865), Maria (1870) und Peter (1874) hervor.
Heinrich Weidinger stammte also aus einer großen Familie. Die Bemühungen, lebende Nachkommen der Familie Weidinger zu finden, waren bisher erfolglos.
Bereits kurze Zeit nach der Geburt verließ Therese (Theresia) Weidinger mit Sohn Heinrich den kleinen Ort Windischgarsten und arbeitete im Jahr 1891 als Magd in Linz. Von Linz zog sie später nach Wien. Dort gelang es ihr, ein Gemischtwarengeschäft zu eröffnen, spätestens ab 1911 bis 1933 betrieb sie nachweislich das Geschäft im 16. Wiener Bezirk in der Hasnerstr. 112. Im Jahr 1933 war Therese Weidinger 68 Jahre alt, wann genau sie starb, konnte nicht ermittelt werden.
Für Sohn Heinrich war der Weg der Mutter aus der Provinz über die Stadt Linz in die Weltstadt Wien mit der Chance zum sozialen und beruflichen Aufstieg verbunden. Er nutzte diese Chance, er wurde Vermessungsingenieur von Beruf.
Seine Teilnahme am ersten Weltkrieg erschließt sich aus den überlieferten Wiener Adressbüchern. Denn nach Kriegsende lebte er von 1918 bis 1920 bei der Mutter im 16. Wiener Bezirk, vermerkt in den Adressbüchern als „Oberst Leutnant im militär-geographischen Institut“. Wo er studierte und welche Stationen sein weiteres berufliches und privates Leben danach hatte, ist nicht bekannt.
Fest steht, dass nicht nur Therese Weidinger mit Sohn Heinrich nach Wien zog, sondern auch Maria Weidinger, später verehelichte Rieß. Die enge Bindung der Schwestern wurde daran deutlich. Beide verließen also die katholische Provinz und lebten in Großstadt Wien.
Maria Weidinger, (verehelicht Marie Rieß), heiratete zu einem unbekannten Zeitpunkt. Die Einträge in Wiener Adressbüchern legen nahe, dass sie schon früh in ihrem Leben (Beamten-) Witwe wurde. Ihr Name findet sich noch 1942 im Wiener Adressbuch unter dem Eintrag „Rieß, Marie, Pensionärin, 17. Bezirk, Neuwaldegger Straße 59“.
Die Nationalsozialisten, seit 1933 in Deutschland an der Macht, haben ihr rassistisches und menschenverachtendes Weltbild in sogenannte „Gesetze“ gegossen: U.a. verschärfen sie mit Wirkung vom 1. Sept. 1935 den noch aus der Kaiserzeit stammenden § 175, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellt. Sie erweitern und verschärfen Tatbestände und konstruieren und führen neue ein (so kann bereits Küssen oder wollüstige Blicke und Kontaktaufnahme zu Ermittlungen und Bestrafung führen, ebenso wird erstmals mann-männliche Prostitution strafrechtlich verfolgt), sie vergrößern den Strafrahmen des § 175 von Gefängnis auf Zuchthaus bis zu 10 Jahren. Sie bespitzeln Treffpunkte von Homosexuellen, führen Razzien durch, legen Listen von namentlich bekannten Homosexuellen an, üben Zensur aus und verbieten Zeitschriften und zerschlagen Vereine. Zudem erzeugt auch die öffentliche Hetze in der gleichgeschalteten Presse und den NS-Propaganda-Medien („Röhm-Putsch“) gegen homosexuelle Männer ein gesellschaftliches Klima der Angst und Einschüchterung. Die Nationalsozialisten nutzen und vertiefen die in der Bevölkerung vorhandenen Vorurteile gegenüber Homosexuellen und stempeln sie zu sogenannten „Volksfeinden“. Denunzierungen sind Teil dieses Szenarios, Denunzianten fühlen sich sicher. Ebenso wird der §175 als Werkzeug zur Verfolgung von katholischen Geistlichen eingesetzt. Die zum Teil „unbequeme“ katholische Kirche soll so in Misskredit gebracht werden. Zur systematischen Verfolgung wird bereits 1934 ein Sonderdezernat Homosexualität bei der Gestapo geschaffen, verschärfend wird im Jahr 1936 eigens die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ installiert. Die Zucht von „arischen“ Menschen ist das Ziel. Personen, die nicht zur konsequenten Bevölkerungsvermehrung beitragen, sollen „ausgemerzt“ werden. Fast zeitgleich, nämlich mit dem 15. Sept. 1935 wird auch die Spirale der Verfolgung von jüdischen Bürgern durch die erlassenen Nürnberger Rassegesetze weitergedreht.
Im Jahr 1938 übernahm Hitler-Deutschland die Macht in Österreich. Der Bundesstaat Österreich wurde nach Deutschland „eingegliedert“. Die Vorgänge, die 1938 dazu führten, wurden als „Anschluss“ bezeichnet und waren eine Kooperation zwischen deutschen und österreichischen Nationalsozialisten. In Deutschland wurden sexuelle Kontakte zwischen Männern seit Reichsgründung im Jahr 1871 verfolgt (§175 Reichsstrafgesetzbuch). In Österreich galt der §129Ib („Unzucht wider die Natur“) seit 1852 und ließ sowohl die Verfolgung und Bestrafung von sexuellen Kontakten zwischen Männern zu als auch zwischen Frauen. Auch nach 1938 galt der österreichische Strafrechtsparagraph 129Ib weiter auf dem Gebiet des „angeschlossenen Österreichs“.
Das nächste, was wir über Heinrich Weidinger wissen: Er wurde in Deutschland verhaftet und zwar durch die Dachauer Kripo/Stapo am 12.6.1939. Ob es die erste oder zweite Verhaftung war, ist unbekannt. Fest steht, dass er insgesamt zweimal mittels §175 verurteilt wurde und insgesamt 3 Jahre und 5 Monate Gefängnishaft verbüßen musste wegen seiner Zuneigung zum gleichen Geschlecht. Einzelheiten der Gerichtsverfahren sind nicht bekannt.
Die Spirale der Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit wurde durch Heinrich Himmler, Chef der deutschen Polizei und gleichzeitig Chef der gefürchteten SS, einer Untergliederung der Nazi-Partei, ebenso weitergedreht. Dazu hatte er am 12. Juli 1940 pauschal bestimmt:
„Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“
Dieser Befehl von Himmler, einem der maßgeblichen Täter des NS-Regimes und einem Fanatiker der Homosexuellenverfolgung, hatte zur Folge, dass diejenigen, die die verhängte Haftstrafe voll verbüßt hatten, unmittelbar am Strafhaftende in ein KZ deportiert wurden. Als „Vorbeugehäftlinge“ kamen sie nicht mehr in Freiheit sondern zu Tode. Sie starben durch Erschießung bei angeblichen oder von der SS inszenierten Fluchtversuchen oder durch Folter oder langsame Auszehrung aufgrund Unterernährung bei katastrophalen hygienischen Bedingungen verbunden mit schwerster Sklavenarbeit.
So geschah es auch mit Heinrich Weidinger:
Die erhaltenen Dokumente belegen, dass er am 18.3.1943 erneut verhaftet wurde und zwar durch die Kripo Weimar an seinem damaligen und letzten Wohnort in Jena, wo er in sog. Schutzhaft genommen und von dort am 20. März 1943 in das KZ Dachau bei München (Häftling Nr. 46516) deportiert wurde.
Schreibstubenkarte aus dem Konzentrationslager Dachau / Heinrich Weidinger, Quelle: ITS Arolsen, Dok. 1.1.6.7 / 10777915
Die sog. „Schreibstubenkarte“ im KZ Dachau wurde mit dem Kürzel „PSV“ (Polizeiliche Sicherungsverwahrung) versehen. Er musste demnach ab diesem Zeitpunkt möglicherweise an der Häftlingskleidung den „Roten Winkel“ der sogenannten „politischen“ Häftlinge tragen. Er wurde im Zeitraum vom 6. Juli bis 9. November 1943 zur Zwangsarbeit als Bauhilfsarbeiter in das Dachau-Außenlager beim Luftschutzzentrum Friedrichshafen am Bodensee gebracht. Von dort wurde er am 12. November 1943 zum KZ Buchenwald überstellt. Er war in Buchenwald die Nummer 28286, zunächst wie in Dachau gekennzeichnet als SV (Sicherungsverwahrter).
Häftlings-Personal-Karte von Heinrich Weidinger aus dem KZ Dachau (dort Häftlingsnummer 46516), später weitergegeben an das KZ Buchenwald (dort Häftlingsnummer 28286), ITS Arolsen, Dok. 1.1.5.3 / 7383749
Ab 14.12.1943 wurde er lt. Akten „umgestellt“ (gekennzeichnet) vom „SV“ zum „BV“ (Berufsverbrecher). Die als „BV“ stigmatisierten Männer trugen den „Grünen Winkel“. Dann schließlich ab 28.12.1943 wurde er erneut auf eine andere Kategorie „umgestellt“, und zwar vom „BV“ zum „Homo“. Diese neue, geänderte Zuordnung hatte weitreichende Folgen. Waren die Häftlinge in der Kategorie „BV“ in der Regel mit dem „Grünen Winkel“ an der Häftlingskleidung gekennzeichnet, so war ein Häftling der Kategorie „Homo“ (oder oftmals auch „BV 175“ oder „175“) durch den auffälligen „Rosa Winkel“ an der Häftlingskleidung zu erkennen. Als „Homo“ gekennzeichnet und ausgegrenzt, gehörte Weidinger damit (zu diesem Zeitpunkt waren am Abend des 28. Dez. 1943 insgesamt 37153 Häftlinge im Lager) zu einer der niedrigsten und am meisten geschundenen Häftlingsgruppen mit einer geringeren Chance, das Lager zu überleben. Erschwerend kam hinzu, dass Weidinger in der Zeit zwischen November 1943 und seine Tod am 27. Januar 1944 mehrfach die Häftlingbaracke (den Block) wechseln musste (wahrscheinlich zeitgleich mit den verschiedenen Umstellungen der Häftlingskategorie). So sind die Blöcke 4, 62, 32 und 30 in den Buchenwald-Dokumenten vermerkt. Ohne einen sozialen Bezugspunkt innerhalb der Häftlinge – d.h. durch den ständigen Wechsel des Blocks/des Schlafortes war die Wahrscheinlichkeit des Überlebens noch geringer.
Die meisten Häftlinge, die als „175er“ eingeliefert wurden, steckte die SS sofort bei Ankunft im KZ-Aufnahme in das Arbeitskommando Nr.53, die gefürchtete Strafkompanie, diese Häftlinge mussten schwerste Zwangsarbeit im Steinbruch leisten. Da Weidinger aber zunächst als „SV“ bzw. als „BV“ und nicht als „Homo“ eingruppiert worden war, hatte er möglicherweise nicht im Steinbruch gearbeitet. Der Ort seiner Zwangsarbeit im Lager ist nicht überliefert. Die Akten belegen jedoch, dass Weidinger mit einem sogenannten Fluchtpunkt markiert wurde. Entflohene und wieder gefangengenommene sowie bei Fluchtversuchen von der SS gestellte Häftlinge wurden regelmäßig in den Arrestzellenbau gebracht (einem Ort der Folter). Sollten sie diese Behandlung überleben, so wurden sie anschießend im Häftlingslager durch den Fluchtpunkt auf der Kleidung besonders gekennzeichnet. Sie erhielten einen roten Punkt auf den Rücken der Häftlingskleidung, der von einem roten Kreis im Durchmesser von ca. 25 cm umgeben war. Diese Kennzeichnung hatte die Form einer Zielscheibe. Zum einen sollte der Fluchtpunkt die verstärkte Aufmerksamkeit der SS-Bewacher auf den besonders markierten Häftling lenken. Zum anderen diente dieser Punkt dazu, bei erneutem Fluchtversuch die Treffsicherheit der SS-Wachmänner (den Todesschuss) zu erleichtern.
Am 27. Januar 1944 starb Heinrich Weidinger im KZ Buchenwald. Der von der SS ausgestellte Totenschein verzeichnet als angebliche Todesursache: „Herzschwäche bei Magen- und Darmkatarrh“. Es war eine beschönigende Formulierung für einen zielgerichteten Vernichtungsprozess.
Heinrich Weidinger wurde nur 53 Jahre alt.
Die Unterschrift von Heinrich Weidinger auf mehreren erhaltenen Dokumenten aus dem KZ Buchenwald ist die einzige persönliche Äußerung. Ein Bild oder andere Dokumente des Heinrich Weidinger konnten nicht gefunden werden bzw. existieren nicht.
Nach dem Tod von Weidinger wickelte die SS in Buchenwald bürokratisch den „Rest“ ab. Und das lief wie folgt ab: H. Weidinger hatte bei der Aufnahme im KZ Buchenwald als nächste Angehörige angegeben: Tante Marie Rieß, geb. Weidinger, Wien 17, Neuwaldeggerstr. 59. Es handelte sich bei Marie Rieß demnach um seine Taufpatentante, die im Jahr 1870 in Windischgarsten als Maria Weidinger geborene Schwester seiner Mutter Theresia Weidinger.
Am 12. Feb. 1944 wurde der Kriminalpolizeistelle in Wien ein Paket aus Buchenwald geschickt mit der schriftlichen Aufforderung, dieses Paket an die Tante von Heinrich zuzustellen. Außerdem sollte Frau Rieß der Nachlaßbetrag von 48,45 Reichsmark ausgehändigt werden. Das geschah am 14. März 1944, die Empfangsbestätigung von Marie Rieß mit ihrer Unterschrift hat sich bis heute erhalten. Auch der Inhalt des Paketes ist bekannt. Akribisch wurde verzeichnet, was von Heinrich Weidinger blieb:
Der Nachlass von Heinrich Weidinger aus dem KZ Buchenwald, überliefert an die Patentante Marie Rieß in Wien, ITS Archiv, Dokument 1.1.5.3/ 7383756
Am 18. März 1944 gelangte die Empfangsquittung aus Wien zurück nach Buchenwald. Damit war der „Fall“ Weidinger für die SS erledigt.
Wie wir heute aus den überlieferten KZ-Dokumenten wissen, hatte Heinrich Weidinger bei der Aufnahme in Buchenwald einen Geldbetrag von 31,85 Reichsmark als Eigentum (vom KZ Dachau zum KZ Buchenwald transferiert). Der Geldbetrag wurde in Buchenwald verzeichnet auf einer sogenannten „Geldkarte“. Am 15. Januar 1944 erhielt er weitere 20 Reichsmark auf dieser Karte gutgeschrieben, wahrscheinlich überwiesen von seiner Tante Marie Rieß. Als er am 27. Jan. 1944 starb, umfasste sein Geldnachlass also insgesamt 51,85 Reichsmark. Abzüglich des Paketportos von 3 RM und der Überweisungsgebühr von 40 Pfennig verblieb ein Endbetrag von 48,45 RM. Auch das wurde buchhalterisch genau dokumentiert in Buchenwald.
Dieser Endbetrag ging über die Kripoleitstelle in Wien an die Tante. Und da Marie Rieß offenbar erst im März 1944 vom Tod ihres Neffen erfuhr, hatte sie in der Hoffnung, ihn damit unterstützen zu können, noch einen weiteren Betrag von 100 Reichsmark im Februar 1944 nach Buchenwald für Heinrich überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war der bereits fast einen Monat verstorben. Bürokratisch korrekt, überwies die Lagerverwaltung der SS aus Buchenwald auch diesen Betrag nach Wien an die Kripoleitstelle. Ob der Betrag an Marie Rieß übergeben wurde, ist nicht überliefert.
Heinrich Weidinger war einer von mehreren Tausend Männern, die während der NS-Zeit wegen des Vorwurfes homosexueller Kontakte verfolgt wurden und die Verhöre, Folterungen, Zwangskastrationen, Gefängnis, Zuchthaus und KZ-Deportationen oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten nicht überlebten. Diejenigen Homosexuellen, die die NS-Zeit überlebten, wurden nach dem 8. Mai 1945 in Deutschland weiter verfolgt.
Alle CDU-geführten Bundesregierungen zwischen 1949 und 1969 unter Konrad Adenauer, Ludwig Erhardt und dem wegen seiner ehemaligen NSDAP-Mitgliedschaft und seiner frühen Karriere im NS-Staat heftig kritisierten Bundeskanzler Kiesinger ließen den Strafrechts-paragraphen 175 in der BRD in der verschärften Nazifassung (von 1935) bis zum Jahr 1969 (!!) unverändert bestehen.
Trotz heftigster Attacken von Seiten der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des Paragraphen in der BRD ein. Die DDR hatte die strafrechtliche Verfolgung bereits in den 50er Jahren eingeschränkt und im Jahr 1968 den §175 gestrichen. Erst nach der Wiedervereinigung und zwar seit 1994 werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der Paragraph 175 wurde gestrichen. Jedoch wurden erst 2002 diejenigen Urteile aufgehoben, die während der NS-Zeit mittels § 175 gefällt worden waren (gegen Stimmen aus CDU/CSU und FDP). Erst seit 2002 gilt Heinrich Weidinger demnach nicht mehr als Straftäter, er wurde zu Unrecht verurteilt.
Erst im Sommer 2017 wurden diejenigen Urteile aufgehoben, die zwischen 1945 und 1969 nach dem Paragraphen 175 in der Nazifassung gefällt wurden und diejenigen Urteile, die nach der Strafrechtsreform zwischen 1969 und 1994 gefällt wurden. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Aufhebung der Urteile kam und kommt für die meisten Betroffenen, die inzwischen verstarben, und für deren Angehörige, Familien und Freunde (zu) spät. Erst im Sommer 2018 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Fehler des Staates anerkannt und sich entschuldigt.
Die Verlegung des Stolpersteins erfolgte am 14. Mai 2019.
Der Stolperstein zur Würdigung von Heinrich Weidinger, von dem Künstler Gunter Demnig verlegt, liegt seit 14. Mai 2019 an dem letzten freiwilligen Wohnort in Jena, Unterm Markt 4. Das in der NS-Zeit dort noch vorhandene Hotel „Weimarischer Hof“ existiert nicht mehr. Der „Weimarische Hof“ ist heute ein moderner Geschäfts- und Wohngebäudekomplex in der City mit Einkaufspassage als Verbindung zwischen den Straßen „Löbdergraben“ und „Unterm Markt“.
Dieser Stolperstein ist in Jena der erste Stolperstein zur Erinnerung an einen in der NS-Zeit wegen homosexueller Kontakte verfolgten Mann und nach mündlicher Bestätigung durch den Künstler Demnig ebenso im gesamten Bundesland Thüringen.
Weitere Stolpersteine in Bochum (11), Dortmund (1), Düsseldorf (1), Duisburg (5), Essen (1), Gelsenkirchen (4), Hattingen (1), Krefeld (2), Kreuztal-Kredenbach/Kreis Siegen (1), Remscheid (3), Solingen (1), Trier (3), Velbert (1), Witten (2) und Wuppertal (2) zur Erinnerung an verfolgte Homosexuelle sind bereits verlegt worden, weitere Stolpersteine sind in Planung und werden folgen. Die Initiative zum Stolperstein, ebenso Forschung und Recherchen sowie dieser Bericht zur Würdigung des Lebens von Heinrich Weidinger stammen von Jürgen Wenke, Diplom-Ingenieur und Diplom-Psychologe, Bochum. Unterstützung bei der Forschung leisteten dankenswerterweise: ITS Arolsen, Gedenkstättenarchive Buchenwald und Dachau, Staatsarchiv München, Hauptstaatsarchiv Thüringen/Weimar, Oberösterreichisches Landesarchiv Linz, Gedenkstätte des ehem. Konzentrationslagers Mauthausen/Österreich, Stadtarchive in Dachau, Weimar, Jena, Gemeindeamt Windischgarsten, Pfarramt Windischgarsten.
Die Vorbereitungsarbeiten zur Verlegung des Stolpersteines übernahm die örtliche Stolpersteininitiative. Der Verein Queerweg e.V., Thüringen/Weimar sorgte durch die Organisation eines Bild-Vortrages im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum internationalen Tag gegen Homophobie (17.5.) für eine vertiefende Würdigung des Lebensweges von Heinrich Weidinger.
TV-Bericht zur Verlegung des Stolpersteins am 14. Mai 2019: