Diese Abqualifizierung durch die NS-Justiz als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ machte die Verhängung der gefürchteten Sicherungsverwahrung möglich und wahrscheinlich. Diese dauerhafte Sicherungsverwahrung kam in sehr vielen Fällen einem Todesurteil für die Betroffenen gleich, da viele von ihnen nach der verbüßten Haft in ein KZ deportiert wurden und dort zu Tode kamen.
Wenig bekannt ist bis heute, dass auch zahlreiche Homosexuelle kastriert wurden, denn die NS-Justiz stellte in Aussicht, dass bei Zustimmung des Angeklagten oder Verurteilten zu einer sogenannten „freiwilligen“ Kastration die Sicherungsverwahrung nicht ausgesprochen werden sollte. Die dahinterliegende Grundhaltung der NS-Justiz war, „dass er es der Kastration zu verdanken hat, dass er überhaupt wieder in die Volksgemeinschaft entlassen wird“
(Zitat aus: Das sind Volksfeinde. Die Verfolgung von Homosexuellen an Rhein und Ruhr 1933-1945, Herausgeber: Centrum Schwule Geschichte, Köln.)
Die Kastration (im Gegensatz zu einer Sterilisation, bei der lediglich die Samenleiter durchtrennt werden und damit Zeugungsunfähigkeit erzeugt wird, aber mit dem körperlich eher leichten Eingriff keine Auswirkungen auf die Libido einhergeht) mit Entfernung der Hoden ist ein sehr schwerwiegender Eingriff in die körperliche und seelische Unversehrtheit. Sie ändert nicht die Triebrichtung – aus einem heterosexuellen Mann wird also kein homosexueller oder umgekehrt.
Die Kastration – wenn sie nach der Pubertät erfolgt – hat beim erwachsenen Mann viele mögliche körperliche und psychische Folgen und hinterlässt Schädigungen, u.a: Antriebsarmut, eine Veränderung der Behaarung (Verlust der Körperbehaarung), Abnahme der Libido (Geschlechtstrieb) oder sogar Impotenz, tiefgreifende Persönlichkeits-veränderungen, psychische Erkrankung bis hin zu schweren Depressionen, Osteoporose, möglicherweise Fettleibigkeit mit Stoffwechselstörungen, Entgleisungen des Fettstoff-wechsels, des Zuckerstoffwechsels und folgender Zuckerkrankheit sowie arterielle Hypertonie (Bluthochdruck). Eine „Verweiblichung“ des sichtbaren Körperschemas ist beim Mann die Folge.
Wilhelm Zitschka war zum Zeitpunkt seiner Verurteilung vor dem Landgericht Düsseldorf am 22. April 1941 ein lebenserfahrener Mann von 60 Jahren. Er wusste, dass ihm keine wirklich freie Entscheidung blieb: Entweder Haftverbüßung und anschließende Sicherungs-verwahrung, mit der Folge, wahrscheinlich in ein KZ deportiert zu werden, falls er sich nicht „freiwillig“ zur Kastration bereit erklärte oder als Alternative Haftverbüßung und anschließende wahrscheinliche Entlassung, wenn er der Kastration zustimmte. (Wir wissen heute, dass diese in Aussicht gestellte Entlassung auch in zahlreichen Fällen dann nicht gewährt wurde, wenn die Kastration erfolgt war.)
So ist es kaum verwunderlich, dass Zitschka den zweiten Weg „wählte“. Die Kastration wurde bereits am 14. Mai 1941 im Bezirkskrankenhaus des Gefängnisses in Düsseldorf-Derendorf durchgeführt, nur kurze Zeit nach dem Gerichtsurteil. Der ausführende Arzt hielt in einem standardmäßigen Formularvordruck fest, dass der Eingriff „regelrecht“ verlaufen sei. Die Wunde sei in 6 Tagen ohne Nebenerscheinungen verheilt. Die vorgegebene Zeile „Ausfallerscheinungen“ wurde nicht ausgefüllt. Die Nachbehandlung sei am 23. Mai 1941 beendet worden. Der Überwiesene sei mittels Sammeltransport am 27. Mai 1941 in das Strafgefängnis zu Anrath übergeführt worden.
Wilhelm Zitschka verbüßte die zweijährige Haft und wurde entlassen. Welche schwerwiegenden Folgen und Belastungen für seine psychische und körperliche Gesundheit die Haft und die Kastration hinterließen, ist unbekannt. Ebenso unbekannt, welche Folgen wirtschaftlicher und beruflicher Art die Verfolgung hinterließ. Fest steht, dass er seine Wohnung und seinen Laden in der Hunsrückenstr. 4 verloren hatte. (In dortiger Lage befindet sich heute nach der Kriegszerstörung des Wohnhauses das bekannte Theater „Kommödchen“.)