Wir erinnern an Michael Weyerer
Michael Weyerer, geboren 1904 in Bochum, gestorben am 4.11.1944 in Bochum.
Michael Weyerer, geboren 1904 in Bochum, gestorben am 4.11.1944 in Bochum.
Michael Weyerer, geboren 1904 in Bochum, jüngstes von 4 Kindern des Bergmannes Anton Weyerer und Ehefrau Christine. Aufgrund einer geistigen Behinderung lebte er bei den Eltern, zeitweise als Kind für zwei Jahre im „St.-Johannis-Stift“ in Marsberg, das bis 1907 „Idiotenanstalt Niedermarsberg“ hieß.
Im Juni 1944 denunzierte/zeigte eine Nachbarin Michael Weyerer und den 14jährigen Jungen Albert Voss bei der Polizei an, weil sie die beiden in einer Scheune beim gemeinsamen Onanieren „erwischt“ hatte.
Ein Verfahren gegen Michael Weyerer wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Kontakte nach §175 vor dem Bochumer Landgericht endete am 27. Oktober 1944 ohne Verurteilung nach dem Strafgesetz, aber mit dem Beschluss der „dauerhaften“ Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt wegen „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.“ Bevor es zu der Einweisung kam (und Michael Weyerer damit Opfer der Euthanasiemorde des NS-Systems wurde), starb Michael Weyerer in der Untersuchungshaftanstalt am 4. November 1944. Der schwerste Bombenangriff auf Bochum im zweiten Weltkrieg traf auch das Untersuchungsgefängnis in der ABC-Straße in der Bochumer Innenstadt. Michael Weyerer war einer der Getöteten.
Im Jahr 2009/10 forschte ich zur Verfolgung von Homosexuellen im Landesarchiv Münster. Dort wurden mir zahlreiche Akten von Männern vorgelegt, die wegen Verstoßes gegen § 175 Reichsstrafgesetzbuch verfolgt worden waren. Eine Akte war die von Michael Weyerer. Die Durchsicht ergab, dass er doppelt stigmatisiert worden war: Wegen homosexueller Kontakte und wegen seiner geistigen Behinderung.
Aus diesem sachlichen Zusammenhang entstand die folgende Idee, die dann realisiert wurde, nämlich in Kooperation von „Rosa Strippe e.V.“, dessen Mitbegründer ich bin und dessen langjähriger Vorsitzender ich war, gemeinsam mit dem Verein „Psychosoziale Hilfen Bochum e.V.“, einen Stolperstein für Michael Weyerer zu initiieren. Dazu habe ich dann die langjährige Vorstandsfrau des Vereins „Psychosoziale Hilfen Bochum e.V.“, Gabriele Schumann, angesprochen, die ich aufgrund ihrer Tätigkeit als Fachbereichsleiterin Gesundheit bei der Volkshochschule Bochum gut kannte und schätzte.
Frau Schumann hat zugestimmt und anschließend gemeinsam mit Frau Girndt engagiert weiter geforscht und den Bericht „Ein Stolperstein für Michael Weyerer“ zum Verfolgungsweg und Lebensweg von Michael Weyerer verfasst, den Sie als unveränderten Bericht in pdf-Form auf dieser Seite finden.
Der Bericht würdigt Michael Weyerer und erinnert an ihn, gleichzeitig erinnert der Bericht auch an Frau Schumann, die ich sehr geschätzt habe. Sie ist im Mai 2017 verstorben.
Jürgen Wenke, Herbst 2018
Wenn Sie den Bericht von Frau Schumann gelesen haben, fragen Sie sich möglicherweise: Aus welcher Familie stammte Michael Weyerer und was geschah mit dem Jugendlichen Albert Voss, dessen gemeinsames Onanieren mit Michael Weyerer die Kette der Verfolgung durch das nationalsozialistische Diktatur-System in Gang gesetzt hatte?
Zur Familie und den Verwandten von Michael Weyerer:
Der Vater von Michael Weyerer (vollständig: Anton Michael Weyerer) war der Bergmann Anton Weyerer, geboren 2. Februar 1872 in Teising in Oberbayern. Die Mutter von Michael war Christine Weyerer, geborene Fischer, geboren am 10. Juni 1869 in Dümpelfeld, Kreis Adenau in der Eifel/Rheinland-Pfalz.
Die Eheschließung von Anton und Christine Weyerer, beide katholischer Religion, fand am 5. November 1898 in Bochum statt. Bochum wurde auch der Lebensmittelpunkt der Bergmannsfamilie Weyerer.
Es konnten 4 Kinder der Eheleute durch Personenstandsdokumente gefunden werden, alle wurden in Bochum geboren. Michael war das jüngste der vier Kinder.
Das älteste Kind war Tochter Anna Antonie Weyerer, sie wurde am 24. Mai 1899 geboren, sie heiratete am 8. Juni 1935 in Bochum den Schlosser Bernhard Anton Breck. Die Ehe wurde bereits am 24. März des Jahres 1936 wieder geschieden. Am 25. April 1936 wurde Tochter Christel Henriette geboren, sie heiratete in Bochum-Weitmar im Jahr 1956. Ob Christel Henriette noch lebt und ob es Nachkommen gibt, wurde nicht ermittelt.
Anna Antonie Breck, die Schwester von Michael, starb kurz nach Ende der NS-Zeit am 14. Februar 1947 in Bochum. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt in der Fiedlerstraße 10, dem Wohnort ihrer Eltern und dem ihres Bruders Michael.
Das zweitälteste Kind der Eheleute war der Sohn Heinrich Hermann Weyerer, er wurde am 12. November 1900 geboren. Heinrich Hermann Weyerer wurde wie sein Vater Bergmann von Beruf. Er war zweimal verheiratet (beide Ehen wurden in Bochum geschlossen), zunächst von 1922 bis zur Scheidung im Jahr 1932 mit Anna Auguste Emilia Weyerer, geborene Löwenstein (*1897). Aus dieser Ehe gingen 4 Kinder hervor, Sohn Siegfried (*1926), eine Tochter (*1932), ein weiterer Sohn (*1928) und die Tochter Waltraud Ursula Inge (*1930).
Im Jahr 1934 heiratete Heinrich Hermann Weyerer zum zweiten Male, die zweite Ehefrau war Lina Auguste Weyerer, geb. Maischein (*1900). Ob aus dieser Ehe Kinder hervorgingen, ist unbekannt. Es ist möglich, dass es Nachkommen aus beiden Ehen von Heinrich Hermann Weyerer gibt.
Das dritte Kind der Eheleute Christine und Anton Weyerer war wieder ein Mädchen mit Namen Maria Christina, sie wurde im Mai 1902 geboren und nur 2 Monate alt.
Das jüngste Kind war wiederum ein Junge, Michael Weyerer. Er verstarb im Untersuchungsgefängnis am 4. November 1944. Der von den Deutschen zu verantwortende zweite Weltkrieg hatte an diesem Tag zu dem schwersten Luftangriff des Krieges auf die Stadt Bochum geführt. Auch das Untersuchungsgefängnis in der ABC-Straße wurde getroffen. Eines dieser vielen zivilen Kriegsopfer war Michael Weyerer. Die vom Gericht angeordnete Einweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt kam durch den Tod von Weyerer nicht mehr zum Tragen, sie hätte bei Umsetzung bedeutet, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit ein Euthanasie-Opfer geworden wäre.
Die Mutter von Michael Weyerer verstarb noch während des Krieges im Alter von 75 Jahren nur 3 Monate nach ihrem Jüngsten am 6. Februar 1945. Inwieweit die Todesursache „Allgemeine Kreislaufschwäche“ mit dem Tod ihres Sohnes in Zusammenhang stand, bleibt offen. Den Tod meldete die Tochter Anna Breck. Auch der Vater von Michael Weyerer, der Berginvalide Anton Weyerer, verstarb kurz nach dem Tod seines Sohnes und kurz nach dem Tod seiner Ehefrau und zwar am 25. Juli 1945. Als Todesursache wurde vermerkt: „Allgemeine Ernährungsstörung, Hungeroedem“. Auch er war demnach ein Kriegsopfer – denn er verhungerte aufgrund der schlechten Versorgungslage in Deutschland nach Ende des Krieges. Auch den Tod ihres Vaters meldete Anna Breck. Sie selbst starb im Alter von 47 Jahren im Februar 1947 an einem Schlaganfall in einem Bochumer Krankenhaus.
Was wurde aus Albert Voss?
Albert Voss überlebte die NS-Zeit, heiratete im Jahr 1949 im Alter von 18 Jahren in Lüdenscheid, dort verstarb er im Jahr 1991. Weiteres wurde nicht bekannt.
Der Stolperstein für Michael Weyerer wurde am 17. September 2013 von dem Künstler Gunter Demnig verlegt. Der ehemalige Wohnort von Michael Weyerer in der Fiedlerstraße und die Fiedlerstraße in Bochum-Hofstede existieren nicht mehr, dort verläuft heute die Autobahn A43.
Der Stolperstein wurde auf der Herner Straße in Bochum verlegt vor der Ampel zur Auffahrt zur A43 in Richtung Wuppertal, d.h. von Bochum kommend auf der linken Straßenseite, dort wo der Fußgängerüberweg die Zufahrt zur Autobahn kreuzt.